Bis Herbst will der neunte UNO-Generalsekretär erkoren sein

Gesucht: ein neues Weltgewissen

Eine Frau aus Osteuropa mit einschlägigen Vorerfahrungen, tadellosem Ruf und internationalem Renommee. Das wäre das Idealprofil des neunten UNO-Generalsekretärs, der derzeit vom Weltsicherheitsrat gesucht wird.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Franziskus und Ban Ki Moon  / © Kevin Hagen  (dpa)
Franziskus und Ban Ki Moon / © Kevin Hagen ( dpa )

Will wirklich jemand der Chef-Diplomat der Welt werden? Immer schlechte Miene zum bösen Spiel machen? Die Arbeitsplatzbeschreibung des UNO-Generalsekretärs umfasst Begriffe wie "Weltgewissen" und "Frustrationstoleranz". Nahost-Konflikt, Syrien, Afghanistan, Irak; die wiederaufflammende Krim-Krise zwischen Russland und der Ukraine; die Flüchtlingskrise in Europa, die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, Hungerkrisen und Bürgerkriege in Afrika; Erdbeben, Klimawandel, Flutkatastrophen. "Sperare contra spem" (Hoffen wider alle Hoffnung) sagen Theologen dazu.

Tatsächlich wurden Ende Juli in einer Vorauswahl zwölf Kandidaten benannt. Einer oder eine von ihnen soll nun bis Herbst bereitstehen, um zum Jahresende das Erbe des Südkoreaners Ban Ki Moon (72) antreten zu können. Das Idealprofil wäre eine Frau aus Osteuropa - denn das ist nach dem strikten Turnus der Vereinten Nationen dran. Mit einschlägigen Vorerfahrungen, einem tadellosem Ruf und internationalem Renommee.

Mehrere Kandidatinnen als Favoriten

In einer nichtöffentlichen Probeabstimmung lag allerdings ein prominenter Mann aus Westeuropa vorn: der Portugiese Antonio Guterres (67), von 2005 bis 2015 UN-Flüchtlingshochkommissar. Eine Mitfavoritin dürfte die Generaldirektorin der Weltkultur- und Weltbildungsorganisation Unesco sein: Auf die 64-jährige Bulgarin Irina Bokova treffen wohl die meisten Suchkriterien zu.

Geografisch im Abseits, aber ebenfalls mit Stallgeruch am East River und mit einer starken Kraft im Rücken: Neuseelands frühere Regierungschefin Helen Clark (66). Als Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms UNDP (seit 2009) gilt sie als die Nummer drei der UN-Hierarchie, und: Die USA unterstützten sie als Kandidatin, so heißt es. Das wäre ein Pfund.

Kandidaten aus verschiedenen Ländern

Weit weniger bekannte Kandidaten sind Natalia Gherman (47) aus Moldawien, Vuk Jeremic (41) aus Serbien, Srgjan Kerim (67) aus Mazedonien, Miroslav Lajcak (53) aus der Slowakei, Igor Luksic (40) aus Montenegro, Bans frühere Kanzlei-Chefin Susana Malcorra (62) aus Argentinien, Vesna Pusic (63) aus Kroatien, Australiens Ex-Regierungschef Kevin Rudd (58) sowie Sloweniens Ex-Präsident Danilo Türk (64).

Hinter verschlossenen Türen ringen jetzt die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates, wo vor allem die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs sowie China das Sagen haben. Am Ende legt der Rat der UNO-Vollversammlung den gemeinsamen Vorschlag zur Akklamation vor.

Einfacher Start ins Amt

Wer immer es wird: Er oder sie wird am 1. Januar 2017 einen vergleichsweise einfacheren Start haben, als ihn der eher farblose Ban 2007 als Nachfolger des charismatischen Friedensnobelpreisträgers Kofi Annan (1997-2006) hatte.

Allerdings: Immer schon galt es als "der unmöglichste Job der Welt", Chef einer Weltorganisation zu sein, die dessen wichtigste Mitglieder eigentlich möglichst klein halten wollen. Seit aber die internationale Einigkeit selbst in grundlegenden Fragen des Völkerrechts bröckelt und die Gräben des Kalten Krieges wieder aufzureißen drohen, kann das Amt des UNO-Generalsekretärs eigentlich kaum mehr Befriedigung verschaffen.

Fortschritte von neuen Katastrophen überrannt

Im Jahr 2000 hatte sich die Weltgemeinschaft ehrgeizige Millenniumsziele gesetzt: Bekämpfung von Armut und Hunger, Kindersterblichkeit und HIV/Aids, dazu Grundbildung für alle. Viele der namhaften Fortschritte, die seitdem tatsächlich erzielt wurden, haben Naturkatastrophen, Kriege und globale Wirtschaftskrisen inzwischen wieder aufgefressen.

Dies nüchtern festzustellen und zu verwalten, ist eine Sache. Doch die Millionen Flüchtlinge und Kriegsopfer, die Hungernden, die entrechteten Frauen, die Tausenden Blauhelme, die ihren Kopf hinhalten sollen für eine Weltgemeinschaft, die es vorzieht wegzuschauen: Sie brauchen einen Interessenvertreter, der Tag für Tag herausschreien kann, wo und warum gestorben wird; der den Mächtigen die Diskrepanzen zwischen Rüstungsausgaben und Armutsbekämpfung spürbar auf die Ohren gibt. Sie brauchen eine Stimme und ein Gesicht, um medial nicht noch mehr in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

UNO als ein Wasserkopf

Ob allerdings auch die großen Player der internationalen Gemeinschaft eine solch profilierte Figur am Mikrofon der UNO-Vollversammlung haben möchten, muss sich weisen. Für viele bleibt die UNO ein Wasserkopf, der für gewöhnlich Kosten, aber keine Ergebnisse präsentiert.

 


Quelle:
KNA