70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beendet die katholische Kirche in Deutschland ihre überdiözesane Seelsorge für Heimatvertriebene und Aussiedler. Künftig sollen die katholischen Vertriebenenverbände sich eigenständig um die Pflege des religiösen Erbes und der Kultur der aus dem Osten gekommenen Katholiken und ihrer Nachfahren kümmern und auch den europäischen Gedanken fördern, teilte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Donnerstag zum Abschluss der Herbstvollversammlung der Bischöfe in Fulda mit.
Deshalb will die Kirche das Engagement von katholischen Vertriebenenorganisationen wie der von heimatvertriebenen Katholiken aus der Tschechoslowakei gegründeten Ackermann-Gemeinde oder dem Adalbertus-Werk Danziger Katholiken weiter fördern. Dazu sollen auch ehrenamtlich tätige Geistliche Beiräte ernannt werden. Bistümer und Gemeinden sollten auch weiterhin Gottesdienste oder Wallfahrten für die Heimatvertriebenen anbieten, heißt es.
7 Million vertriebene Katholiken
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren 12 bis 14 Millionen Deutsche aus den früheren Ostgebieten, Russland, der Tschechoslowakei sowie aus Siedlungsgebieten im früheren Jugoslawien, Rumänien und Ungarn vertrieben worden, rund die Hälfte davon Katholiken. Mit Unterstützung von Papst Pius XII. baute die Kirche seit 1946 eine Vertriebenenseelsorge auf. Bischöfe und Priester aus den östlichen Diözesen sorgten dafür, dass die Geflüchteten eine religiöse Heimat behielten. Die Bischofskonferenz richtete eigene Arbeitsstellen ein.
Eine Wende ereignete sich 1972: In Folge der Ostverträge integrierte Papst Paul VI. die früher deutschen Bistümer im Osten in die polnische Kirche. Zugleich ernannte der Vatikan für die von dort vertriebenen deutschen Katholiken drei Apostolische Visitatoren: für Katholiken aus dem Erzbistum Breslau, der Diözese Ermland und der Freien Prälatur Schneidemühl. Die Bischofskonferenz setzte zusätzlich zwei Kanonische Visitatoren für Vertriebene ein, die aus dem deutschen Anteil der Erzdiözese Olmütz und der Grafschaft Glatz stammten. Sie waren bis 1999 beratende Mitglieder der Bischofskonferenz. Jetzt werden diese Ämter abgeschafft.
Nicht alles wird aufgelöst
"Sieben Jahrzehnte nach Kriegsende sind die Heimatvertriebenen in die Aufnahmegemeinden und -Bistümer gut eingegliedert", heißt es bei der Bischofskonferenz. Andererseits gebe es immer noch rund 800.000 Katholiken in Deutschland, die Flucht und Vertreibung erlebt haben, sowie 300.000 russlanddeutsche Katholiken, ergänzt der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke, selber Kind schlesischer Flüchtlinge. Hauke bleibt weiterhin Vertriebenenbischof. "Wir können das nicht Alles einfach aufgeben, müssen die Strukturen aber auch nicht bis zuletzt aufrechterhalten."
Für die Bischöfe stehen dabei die Bemühungen der Heimatvertriebenen und ihrer Kinder und Enkel "um die Bewahrung ihrer geistigen und kulturellen Traditionen, ihre Erinnerungskultur und Versöhnungsarbeit" im Mittelpunkt. Flucht und Vertreibung gehörten wesentlich zur Geschichte der Bundesrepublik und der Kirche, so Hauke. Viele Vertriebene wollten zudem Kontakt zu ihrer alten Heimat halten und auch die christliche Kultur dort unterstützen. Sie könnten zu Brückenbauern in Europa werden.
Gastfreundschaft zurückgeben
"Heimatvertriebene Katholiken helfen, Kirchen und Gedenkstätten in den Herkunftsländern zu restaurieren, oder sie fördern Schulen und Ausbildung dort", erläutert der Vertriebenenbischof. Er verweist auf die "Aktion West-Ost", die als Dachverband von katholischen Jugendverbänden der Heimatvertriebenen Begegnungen mit Jugendlichen aus Ost- und Mitteleuropa organisiert.
Hauke und der Görlitzer katholische Bischof Wolfgang Ipolt, ebenfalls aus einer Vertriebenenfamilie stammend, ziehen zugleich eine Verbindung zwischen der damaligen Vertreibung und dem Schicksal heutiger Flüchtlinge. Ipolt appellierte im vergangenen Jahr an die Heimatvertriebenen, sich besonders für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu engagieren. "Sie sollten heute ein wenig von der Gastfreundschaft zurückgeben", die sie damals erfahren hätten: "Das wäre eine ideale Form der Erinnerung."