Die rot-schwarze Koalition zieht sich erhebliche Schrammen zu. Die SPD hat die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern trotz schwerer Verluste gewonnen und kann weiterregieren. Der bisherige Koalitionspartner CDU erlitt eine bittere Niederlage und musste erstmals die AfD an sich vorbeiziehen lassen. Die Rechtspopulisten profitierten ein Jahr nach der Öffnung der Grenzen vom Unmut der Bürger über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die im Nordosten ihren Wahlkreis hat. Die rechtsextreme NPD flog aus dem letzten Landtag, in dem sie noch saß. Auch die FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Grünen mussten um die Rückkehr ins Landesparlament bangen. Die Linke verzeichnete ebenfalls deutliche Einbußen.
Die Erzbischöfe von Hamburg und Berlin, Dr. Stefan Heße und Dr. Heiner Koch, haben sich am Abend besorgt zum Ergebnis der Landtagswahl geäußert. Das Ergebnis zeige zwar, dass Demokratie in Deutschland gut funktionierte. Das Wahlergebnis müsse respektiert werden und sei ein Abbild für die Stimmung in der Gesellschaft. Zugleich sei es aber ein Alarmsignal für die Politik. Die in der vergangenen Zeit erkennbar gewordenen Ängste und Sorgen der Menschen müssten ernst genommen werden, so Heße und Koch weiter. Lösungen dafür müssten sich in Debatten und Kompromissen des parlamentarischen Alltags wiederfinden. Heße und Koch mahnten an, es bräuchte "weniger Polarisierungen und mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt". Basis dafür müssten die in der unantastbaren Würde aller Menschen verankerten Grundrechte sein.
Regierungsbildung noch offen
Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) ließ zunächst offen, mit welchem Partner er in den kommenden fünf Jahren regieren will. Die stabilste Mehrheit hätte eine erneute Koalition mit der CDU wie in den vergangenen zehn Jahren. Möglich wäre auch Rot-Rot-Grün, wenn die Grünen wieder in den Landtag kämen. Andernfalls würde es auch knapp für eine rot-rote Koalition reichen.
Sellering sagte, er werde nun mit den anderen Parteien reden. Gegen eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU mit ihrem Spitzenkanditaten Lorenz Caffier spreche nichts. Die SPD habe aber auch schon sehr gut mit der Linken regiert. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatten alle Parteien ausgeschlossen.
Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF (Stand: 19.20 Uhr) kam die SPD auf 30,0 bis 30,3 Prozent der Stimmen. Zweitstärkste Kraft wurde die AfD mit 21,5 bis 21,8 Prozent. Dahinter landeten die CDU mit 19,0 bis 19,4, die Linke mit 12,2 bis 12,5 und die Grünen mit 4,9 bis 5,0 Prozent. Die FDP (2,9 bis 3,0) verpasste ebenso wie die NPD (3,2 bis 3,5) klar den Einzug in den Landtag in Schwerin. Die Prognosen ergaben folgende Sitzverteilung: SPD 24 bis 26, AfD 17 bis 18, CDU 16, Linke 10 bis 11 und Grüne 0 bis 4 Mandate. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 61 Prozent deutlich über der von 2011 (51,5).
AfD auf dem Vormarsch
Rund ein Jahr vor der Bundestagswahl geht die Erfolgsserie der AfD weiter. Sie sitzt nun in 9 der 16 Landesparlamente. SPD-Vize Ralf Stegner sprach von einer "schweren persönlichen Niederlage" von Kanzlerin Merkel. CDU-Generalsekretär Peter Tauber nannte das Ergebnis "bitter" und führte die Schlappe seiner Partei auf weit verbreiteten "Unmut und Protest" in der Bevölkerung zurück. Der AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm sagte: "Vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels." AfD-Bundesvize Alexander Gauland maß dem Ergebnis große Symbolkraft für die Bundestagswahl 2017 zu.
Laut Forschungsgruppe Wahlen verdankt die SPD ihren Sieg vor allem Sellering. "Mit bester Reputation und überzeugenden Leistungen entpuppt sich der Ministerpräsident als nahezu optimaler Spitzenkandidat", hieß es in einer Analyse. CDU-Herausforderer Caffier bleibe dagegen chancenlos - unter anderem auch beim Image. Die vom Duo Silke Gajek und Jürgen Suhr angeführten Grünen mussten zittern, sie rutschten am Wahlabend unter die Fünf-Prozent-Hürde. Auch die Linkspartei erlebte einen rabenschwarzen Wahltag. Sie fuhr mit ihrem Spitzenkandidaten Helmut Holter das schlechteste Ergebnis in Ostdeutschland seit 25 Jahren ein. Die FDP mit ihrer Spitzenkandidatin Cécile Bonnet-Weidhofer stellte einmal mehr ihre Schwäche in Ostdeutschland unter Beweis, wo sie bei den vergangenen Wahlen stets den Sprung in die Landtage verpasst hat.
Die Wahl 2011 hatte die SPD mit 35,6 Prozent der Stimmen klar für sich entschieden. Dahinter folgten die CDU (23,0), die Linke (18,4), die Grünen (8,7) und die NPD (6,0 Prozent.) Die 71 Sitze im Landtag verteilten sich wie folgt: SPD 27, CDU 18, Linke 14, Grüne 7 und NPD 5 Sitze. In zwei Wochen wird in Berlin ein neues Landesparlament gewählt. Bis zur Bundestagswahl im September kommenden Jahres gibt es mit den Wahlen im Saarland (26. März), in Schleswig-Holstein (7. Mai) und in Nordrhein-Westfalen (14. Mai) drei weitere politische Stimmungstests. Zudem wird am 12. Februar ein neuer Bundespräsident gewählt.
Religionsvertreter zeigen sich besorgt
Auch der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, erklärte, es sei eine Herausforderung für alle Parteien, die Ängste der Bürger stärker in den Blick zu nehmen. Reflexartige Antworten und eine Stigmatisierung im Umgang mit der AfD reichten nicht aus. Obwohl es unter den AfD auch Katholiken gebe, sei sie insgesamt aber keine Partei, "in der Katholiken sich zu Hause fühlen", betonte Jüsten.
Der evangelische Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich, äußerte seine Besorgnis darüber, "dass populistische und fremdenfeindliche Parolen in so hohem Maße verfangen haben". Nordkirchen-Bischof Hans-Jürgen Abromeit aus dem Sprengel Greifswald versicherte mit Blick auf das starke Abschneiden der AfD, dass die Kirchen nach ihren Kräften weiterhin für Menschen in Not eintreten werden - "seien es Einheimische oder Geflüchtete". Andreas von Maltzahn, Bischof im Sprengel Schwerin, sagte: "Wer in einem demokratischen Verfahren gewählt wurde, ist damit nicht automatisch schon ein Demokrat."
Warnungen vom Zentralrat der Juden und der Muslime
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, offenbar sei vielen Wählern nicht klar oder sie nähmen es billigend in Kauf, dass sich die AfD weder in Mecklenburg-Vorpommern noch bundesweit klar vom rechtsextremen Spektrum abgrenze. "Die AfD ist keine Alternative für Deutschland, sondern ein Armutszeugnis für Deutschland."
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, twitterte eine "Warnung" an die anderen Parteien: "Die Strategie 'kopieren oder ignorieren' geht nicht auf. Am Ende wählt 'man' das populistische Original."