domradio.de: Warum war denn eine Überarbeitung der Leitlinien nötig?
Ackermann: Wir hatten uns 2010 die Frist gesetzt, dass wir ad experimentum die Leitlinien für drei Jahre in Kraft setzen, so dass jetzt klar war, nach Ablauf der drei Jahre wird noch einmal geguckt, welche Erfahrungen haben wir gemacht. Wir werten das aus und arbeiten das ein, was in den letzten drei Jahren an Erfahrungen gewachsen ist. Und da hat sich herausgestellt, das war doch eine ganze Menge. Man sieht allein, der Umfang ist jetzt nochmal um vier Seiten angewachsen. Aber das hängt eben mit den Erfahrungen der letzten drei Jahre zusammen.
domradio.de: Es geht in diesen Leitlinien um den Umgang von kirchlichen Angestellten mit Kindern und Jugendlichen. Neu ist jetzt auch, dass auch erwachsene Schutzbefohlene erwähnt werden. Warum wurde das hinzugefüht?
Ackermann: Wir mussten ja schon sehen - und das gilt nicht nur für den kirchlichen Bereich, sondern insgesamt - dass da, wo Menschen besonders schutzbedürftig sind, das heißt, in einer Obhut, in der Pflege, dass auch da ein Risiko besteht, dass Menschen sexuelle Gewalt erleiden, missbraucht werden. Etwa da, wo Menschen mit Behinderung sind oder in einer besonderen Pflegesituation. Wir haben bewusst gesagt, wir erweitern den Anwendungsbereich auch auf diese Gruppe hin. Die römischen Leitlinien, die Normen, sehen ja vor, die Menschen, deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist, die werden Kindern und Jugendlichen in dieser Frage gleichgestellt. Und wir haben gesagt, das nehmen wir auf und erweitern deshalb auch den Anwendungsbereich.
domradio.de: Es wird auch davon gesprochen, dass sowohl kirchliches als auch weltliches Recht zu beachten ist bei der Prävention und Aufarbeitung. Weshalb wird das so deutlich gemacht?
Ackermann: Damals, 2010, war ja der unmittelbare Anlass für die Überarbeitung auch der Vorwurf, der im Raum stand, vor allem von der Bundesjustizministerin, dass die Bischöfe sich nicht an das staatliche Recht halten. Das heißt, kirchliches Recht vor das staatliche Recht stellen. Da war damals ja klar zu machen und auch zu präzisieren, wie verhalten sich diese beiden Bereiche, kirchliches und staatliches Recht, zueinander. Und von daher war in der Fassung von 2010 sehr stark der Blick in diese Richtung gerichtet. Wir haben jetzt auch in den letzten drei Jahren gesehen, es braucht auch Präzisierungen innerkirchlicher Art, etwa dann, wenn es um Ordensangehörige geht. Aber natürlich auch in Kontakt mit der Glaubenskongregation in Rom ist nochmal klar geworden, wir wollen deutlich machen, was die Regelungen im innerkirchlichen Bereich sind, so dass jetzt auch beide Rechtskreise präziser und systematischer dargestellt sind.
domradio.de: Einen wichtigen Teil der Leitlinien nimmt ja auch die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Vergangenheit ein. Wie genau soll die denn aussehen?
Ackermann: Die Leitlinien schauen ja vor allem auf die einzelnen Fälle. Also da, wo es Vorwürfe gibt, wo es Hinweise gibt, wo auch Beschuldigungen da sind; da das Verfahren festzulegen, verbindlich, wie wird damit umgegangen? Aufarbeitung ist auch nochmal in einem größeren Horizont zu sehen. Das ist ja mehr eine Frage der Forschung, der Institutionen als ganzer. Das ist aber nicht der Fokus der Leitlinien, hier geht es um die Verfahrensfrage: Wie ist es dann, wenn es eine Meldung gibt, sei es, dass sie aktuell ist oder dass sie auch weiter zurückliegt.
domradio.de: Sprechen wir noch kurz über den Umgang mit den Tätern. Die Rückkehr von straffällig gewordenen Mitarbeitern in den kirchlichen Dienst wurde schon des öfteren kritisiert. Auch da wurden die Regelungen zum Umgang überarbeitet. Welche neuen Regelungen gibt es jetzt bei diesem Thema?
Ackermann: Man muss ja nochmal unterscheiden. Wenn die Beschuldigungen Kleriker treffen, dann greift das Kirchenrecht nochmal stärker als wenn es sich um kirchliche Mitarbeiter im Sinne der Pastoral oder anderen Bereichen der Kirche handelt. Da haben wir ja auch gesagt, die Leitlinien gelten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wobei dann eben analoge Anwendungen stattfinden. Bei den Klerikern war es ja so, dass wir bei den Leitlinien 2010 vor allem auch geschaut haben, was geschieht mit jemandem, der straffällig geworden ist, der Täter ist. Was ist da denkbar an künftigem Einsatz. Wir haben vor allen Dingen auf die Schwere des Vergehens geschaut. Auch die Strafe, die zu verhängen ist, natürlich immer in enger Abstimmung mit der Glaubenskongregation in Rom. Und zweitens haben wir geguckt, wie ist das Risiko. Die forensische Begutachtung soll ja dazu dienen, zu schauen, wie ist das Risiko, ob es da ein Gefährdungspotenzial gibt, auch künftig. Und wir hatten klar gesagt, es gibt die Einschränkung, natürlich wird jemand, der Täter geworden ist, nicht mehr eingesetzt im Bereich Kinder- und Jugendarbeit. Aber das heißt natürlich, dann auch nicht mehr im allgemeinen Feld der Pastoral, etwa als Pfarrer, weil Kinder und Jugendliche zu diesem Feld dazugehören. Und jetzt, das ist eine Erfahrung der letzten drei Jahre, würde ich sagen, kommt als Gesichtspunkt noch dazu, das, was die römischen Normen als "Ärgernis" bezeichnen. Also, da wo Ärgernis erregt wird durch einen Einsatz eines Klerikers, der Täter geworden ist - das heißt, da geht es nochmal um die Glaubwürdigkeit des Dienstes, um den Ansehensverlust. Es kann ja jemand auch nur pastoral wirksam arbeiten, wenn er akzeptiert ist, angenommen ist, und da mussten wir in den letzten drei Jahren feststellen, selbst wenn jemand eine Strafe erhalten hat, sich seiner Verantwortung stellt, wenn auch nach dem Urteil der Fachleute kein Risiko von jemandem ausgeht, trotzdem kann dann das Problem sein, dass er nicht angenommen wird, weil die Pfarreien sagen, nein, wir akzeptieren einen solchen straffällig gewordenen Priester nicht. Dieses Moment ist noch dazu gekommen, zu sagen, das muss auch mitbedacht werden, wie ist der Ansehensverlust bei einer solchen Straftat.
domradio.de: Wie geht es jetzt denn weiter? Werden die Leitlinien denn weiter nach und nach, gemäß Ihren Erfahrungen, überarbeitet werden?
Ackermann: Natürlich geht es jetzt darum, dass die Bischöfe das in ihren Diözesen in Kraft setzen. Wie wir es vorher auch gemacht haben, etwa durch die Veröffentlichung in den kirchlichen Amtsblättern. Aber das ist jetzt die Verbindlichkeit, auf die wir uns als Bischöfe geeinigt haben. Und es ist auch jetzt wieder eingetragen, dass nicht nach drei, sondern erst nach fünf Jahren auch wieder eine Auswertung stattfindet. Dass man nochmal schaut, wie haben sich jetzt die überarbeiteten Leitlinien bewährt, gibt es Dinge, die noch zu ergänzen sind, so dass man automatisch eine Überprüfungszäsur eingezogen hat.