KNA: Sie nahmen an dem 17. internationalen katholischen Bischofstreffen im Heiligen Land teil, das an diesem Donnerstag zu Ende ging. Wie beurteilen Sie nach dem Besuch die Situation im Land?
Bischof Stephan Ackermann (Bischof von Trier und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax): Zunächst wird einem bewusst, welch lange Zeit 50 Jahre sind. Im Buch Levitikus ist das 50. Jahr das sogenannte Jubeljahr, also der Appell, Freiheit zu geben, soziale Gerechtigkeit walten zu lassen und ein neues Miteinander zu beginnen. Das zeigt die Dramatik: Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Die Gesprächsbereitschaft nimmt ab. Auf der Seite der Israelis hat man den Eindruck einer Gleichgültigkeit, auf der anderen Seite wachsen Verzweiflung und Wut. Verschärfend kommt hinzu, dass die Kontaktpunkte immer weiter abnehmen und die Gefahr gegenseitiger Dämonisierung wächst.
KNA: Sie haben in diesem Jahr eine Reihe israelischer Gesprächspartner getroffen. Hat das neue Hoffnungen geweckt?
Ackermann: Es weitet den Blick auf die israelische Gesellschaft, deren Meinungsspektrum sehr breit ist, einschließlich sehr regierungskritischer Stimmen. Auch wenn Gesprächspartner uns gesagt haben, dass es Bemühungen von offizieller Seite gibt, sie zum Schweigen zu bringen, ist es ein Hoffnungszeichen, dass es eine interne Diskussion gibt, durch die eine Nachdenklichkeit in der Gesellschaft erzeugt wird.
KNA: Zu diesen Menschen gehört der Mitbegründer von "Breaking the Silence", Jehuda Schaul, der an die Internationale Gemeinschaft appelliert, den Preis für die Besatzung zu erhöhen. Ist das ein Appell auch an die Kirche, über das Gebet hinaus aktiver zu werden?
Ackermann: Ich habe insgesamt den Eindruck, dass die Internationale Gemeinschaft ungeduldiger wird, nicht nur, weil der Konflikt andauert, sondern weil keine Gesprächsbereitschaft erkennbar ist. Dem würde ich zustimmen, auch wenn wir keine Politiker sind, sondern kommen, um die verschiedenen Perspektiven zu hören. Wir müssen Dinge deutlicher benennen, in unseren Berichten an die heimatlichen Bischofskonferenzen und in den gesellschaftlichen Raum hinein, immer im Respekt vor allen, die hier leben. Ihre gesellschaftlichen Traumata und Ängste sind ernst zu nehmen.
KNA: Israel argumentiert oft mit der Sorge um Sicherheit. Wie bewerten Sie diese Argumentation?
Ackermann: Das Sicherheitsinteresse ist vollkommen berechtigt. Wir haben aber den Eindruck erhalten, dass es nicht nur um Sicherheitsinteressen geht. Der Flickenteppich der Siedlungen lässt die Zweistaatenlösung immer unrealistischer erscheinen. Wer die Landkarte aufmerksam anschaut, den beschleicht der Eindruck, dass es auch um Landgewinn geht. Es geht darum, Korridore zu schaffen und für die palästinensische Bevölkerung Zugänge zu schließen und Mobilität zu erschweren.
KNA: Beim Besuch in Hebron sind Sie von einem israelischen Siedler heftig beschimpft worden. Auch die Gedenkminute für vier getötete israelische Soldaten hat Kritik jüdischer Passanten ausgelöst. Wie geht man damit um, als Christ im Heiligen Land angegriffen zu werden?
Ackermann: Alle Teilnehmer sind schon häufiger hier gewesen und haben solche Situationen erlebt. Entsprechend gelassen nimmt es die Gruppe, auch wenn es alles andere als angenehm ist. Man muss sich darauf einstellen, aber auch wissen, dass dies radikale Stimmen sind und nicht die Mehrheitsmeinung der israelischen Gesellschaft. Man sollte es nicht dramatisieren, sich aber auch nicht einschüchtern lassen.
KNA: Im Oktober haben katholische und evangelische Bischöfe aus Deutschland für Kritik gesorgt, weil sie ihre Brustkreuze beim Besuch des Tempelbergs und der Klagemauer verdeckt haben. Mit welchen Bedenken sind Sie vor diesem Hintergrund hierhergekommen?
Ackermann: Ich selbst war im Herbst Mitglied der Delegation. Die Diskussion hat bei mir neue Nachdenklichkeit erzeugt. Das Verhalten unserer internationalen Bischofsgruppe hat sich aber nicht verändert. Wir haben immer die Brustkreuze getragen. Wir haben aber auch keine heiligen Stätten anderer Religionen besucht, es ist also eine andere Situation. Uns als Christen steht es aus der Botschaft Christi gut an, sensibel mit dem Gegenüber umzugehen, zumal wenn der Andere Gastgeber ist. Zudem habe ich mich bewusst sowohl beim Patriarchen als auch bei den anderen Bischöfen der Gruppe erkundigt: Keiner hat etwas von der Diskussion mitbekommen! Das zeigt, dass es eine rein innerdeutsche Diskussion war.
KNA: Die Gruppe kommt seit 17 Jahren regelmäßig ins Land und ist eine der hochrangigsten und prominentesten Besuchergruppen. Erfahren Sie entsprechende Wertschätzung der Ortskirche?
Ackermann: Wir kommen im Respekt vor den Partnern der Ortskirche, die mit unseren Stellungnahmen sowie den Reaktionen darauf im Alltag leben müssen. Deshalb sind wir sehr behutsam. Gleichzeitig hat die Gruppe an Selbstbewusstsein gewonnen, weil sie sich im Kern seit Jahren kennt. Stärker als in früheren Jahren machen wir deutlich, welche Gesprächspartner wir treffen möchten. Wir stellen kritischere Fragen auch an die katholischen Kirchenführer hier.
KNA: Sind Sie politischer geworden?
Ackermann: Ja - so wie insgesamt die Atmosphäre politischer wird. Der Heilige Stuhl hat einen Grundlagenvertrag mit dem Staat Palästina abgeschlossen, der UN-Sicherheitsrat die Resolution verabschiedet, die die Widerrechtlichkeit des Siedlungsbaus festhält. Im Heiligen Land kann man sich nicht auf rein pastorale Fragen beschränken. Man muss sich auch eine politische Position erarbeiten.
KNA: Beinhaltet Ihre Position eine Chance auf eine politische Lösung für Israel und Palästina?
Ackermann: Die Kernfrage ist eine Frage der Haltung: Sind die Konfliktparteien bereit, dieses Land zu teilen und damit dem anderen die Berechtigung zuzusprechen, hier zu leben - wie auch immer die konkrete Gestaltung aussehen mag? Solange das infrage steht, wird keine politische Lösung funktionieren.
Das Interview führte Andrea Krogmann.