KNA: Herr Bischof Dieser, Sie sind seit wenigen Wochen Bischof von Aachen - und jetzt auch noch Steckenpferdritter der Krefelder Prinzengarde. Was bedeutet Ihnen diese karnevalistische Auszeichnung?
Helmut Dieser (Bischof von Aachen): Der Karneval ist mir nicht fremd, denn ich bin mit dieser Kultur aufgewachsen. Und sie passt auch gut zur Kirche. So hat der Präsident der Prinzengarde bei der Karnevalssitzung sehr treffend betont, ich wolle junge Menschen für die Kirche gewinnen und die Ökumene befördern.
KNA: Stichwort Ökumene. Welche Perspektiven sehen Sie hier?
Dieser: Wir müssen hier beharrlich dran bleiben. Wenn wir neu evangelisieren wollen, können wir als evangelische und katholische Christen nicht einfach zu denen, die getauft werden wollen, sagen, bis hierhin ging unser Weg gemeinsam, jetzt gehen wir getrennt weiter. Das ist gegen das Evangelium. Als Kirche sind wir heute nur glaubwürdig, wenn wir immer mehr lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
KNA: Wie haben Sie die ersten Wochen in Aachen erlebt?
Dieser: Es gab schon viele schöne Begegnungen. Mir kommt die Mentalität der Menschen entgegen, und ich finde die Stadt schön. Es gibt aber auch Herausforderungen, wo wir dickere Bretter bohren müssen. Vor allem geht es um die Seelsorge in unseren größer werdenden pastoralen Räumen. Dieser Prozess betrifft ja alle deutschen Diözesen. Wir alle haben innere Bilder von Kirche aus vergangenen Zeiten. Sich davon zu befreien, ist sehr schwer. Im Moment schauen alle auf die Signale, die ich als Bischof setze. Weil aber niemand einsame Spitze sein kann, lote ich das gemeinsam mit den Gremien aus.
KNA: Um die Entwicklung der Kirche ging es auch in dem bundesweit beachteten Offenen Brief von elf Kölner Priestern. Da wurde auch der Pflichtzölibat infrage gestellt...
Dieser: Das Wort Pflichtzölibat mag ich nicht, ich halte den Begriff für vergiftet. Dann müsste man auch von "Pflichtehe" sprechen. Dabei handelt es sich hier um zwei Lebensformen, die aus dem Evangelium hervorgegangen sind und die ein Mensch für sich prüft und wählt - und zwar freiwillig. Ich unterstelle den Briefschreibern, dass sie dies getan haben. Wenn nicht, wäre es tragisch. Ebenso finde ich es tragisch, wenn alte Priester sich einsam fühlen. Das alles kann man aber nicht öffentlich schreiben. Wenn gegen den Zölibat polemisiert wird, wird oft viel zu wenig geachtet, welchen Wert der Verzicht auf eine eigene Familie darstellt. Keine eigene Ehe und Familie zu gründen, setzt die Priester dazu frei, dass sie sich umso mehr ihren Gemeinden widmen.
KNA: Haben Sie den Brief als Polemik empfunden?
Dieser: Nein, aber etwa in Leserbriefen oder anderen Kommentaren kommt oft ein unsägliches Niveau zutage, wenn es um die Institution Kirche geht. Dagegen fällt auf, dass die lokale Berichterstattung über Kirche praktisch durchgehend positiv ist. Unsere Aufgabe in der Gesellschaft ist es, immer wieder zu zeigen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind mit gleichem Recht und gleicher Würde.
KNA: In der politischen Landschaft droht diese Einsicht verloren zu gehen. Wie schätzen Sie die Gefahr durch Populisten ein?
Dieser: Ich sehe sie als Bedrohung. Unser freiheitliches System fußt auf Überzeugungen, die jede Generation neu für sich entdecken muss. Dagegen können Vereinfachungen dazu führen, dass man die Parteien wählt, die genau dieses System abschaffen wollen. Vor der Gefahr sehe ich uns zum Teil.
KNA: Können Christen die AfD wählen?
Dieser: Als Kirche nehmen wir nicht Stellung zu Parteien, sondern zu den von ihnen vertretenen Positionen. Es gibt bei der von Ihnen angefragten Partei bestimmte Positionen, die wir als Christen niemals übernehmen können - etwa die Behauptung, dass Zuwanderung nur schlecht sei oder der Islam und Muslime von vorneherein eine Bedrohung sind. Wir müssen grundsätzlich prüfen, ob Parteiprogramme mit dem Evangelium vereinbar sind. Insofern ist es wünschenswert, wenn überzeugte Christen in der Politik ihre Meinung einbringen und auch Diskussionen anstoßen.
KNA: Was wünschen Sie sich für den bevorstehenden Wahlkampf?
Dieser: Ich hoffe, dass dabei nicht getrickst wird und sogenannte Fake News in die Welt gesetzt werden, die den anderen in ein falsches Licht stellen. Solche Fälschungen oder Lügen verbreiten sich sehr schnell in unglaublichen Dimensionen. Das ist alles andere als harmlos, sondern zerstörerisch. Dadurch könnte der gesellschaftliche Frieden bedroht werden. Aber die Kirche muss auch in anderen Bereichen wachsam sein.
KNA: An welche Themen denken Sie?
Dieser: Entwicklungen in der Bioethik machen mir Sorgen. So maßt sich die Reproduktionsmedizin an, durch Genchecks und Selektionsmechanismen über das Existenzrecht eines Menschen zu befinden. Neulich hat es ein Arzt und Philosoph treffend formuliert:
Die Gesellschaft will inklusiv sein und Menschen mit Behinderung einbeziehen. In der Forschung und Medizin aber verhalten wir uns immer stärker exklusiv: Wer ein bestimmtes Gen trägt, soll erst gar nicht zur Welt kommen und wird so ausgeschlossen. Diese Entwicklung zerstört das Menschliche des Menschen und ist nicht akzeptabel.
KNA: Wo sehen Sie da die Aufgabe der Kirche?
Dieser: Wir müssen möglichst authentisch, lebensnah, menschenfreundlich auftreten, aber auch klar und keinesfalls duckmäuserisch. Und innerkirchlich brauchen wir eine Erneuerung unserer Verkündigung.
KNA: Welche Rolle spielt Papst Franziskus für die Erneuerung der Kirche?
Dieser: Ich freue mich an sehr vielen seiner Initiativen und Dokumente. Er greift Themen auf, die mir aus der Seele sprechen, zum Beispiel in Evangelii gaudium. Ich wundere mich aber auch nicht darüber, dass Gegenwind kommt. Es gibt durchaus Diskussionen und Spannungen. Wir wollen ja eine lebendige Kirche sein und kein Politbüro, in dem Denkverbote herrschen. Aber er bleibt der Papst.
KNA: Kurz zurück zum Steckenpferd: Haben Sie noch andere Hobbys?
Dieser: Für ein ausgeprägtes Hobby reicht meist die Zeit nicht. Ich habe in der Freizeit vor allem das Bedürfnis, mich zu entspannen oder - wie meine Neffen und Nichten sagen würden - zu chillen. Ich genieße die Natur, zu Fuß oder auf dem Fahrrad.
KNA: Sie kochen auch gerne...
Dieser: Ja, das ist ein Stück Lebenskultur. Ich sammle auch Rezepte, die ich dann ausprobiere.
KNA: Bitte ein Beispiel!
Dieser: Neulich habe ich ein französisches Blumenkohlgericht mit Sardellen gekocht. Sehr lecker. Und es hat gut funktioniert. Nebenbei höre ich in der Küche Radio, meist Infosendungen. Den Sender verrate ich aber nicht.
Das Gespräch führte Sabine Kleyboldt