"Zum einen bin ich noch immer vor allem sehr dankbar", sagte Feige am Donnerstagabend in Halle/Saale. Bei einer Festveranstaltung der 528-jährigen Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle betonte er zugleich, er mache sich "um den Fortbestand unserer freiheitlichen Gesellschaft beträchtliche Sorgen".
"Menschliche Abgründe, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte"
Zwar habe sich die Demokratie bewährt, sie könne aber auch missverstanden oder missbraucht werden, erklärte der Bischof. So gebe es Menschen, die mit demokratischen oder kriminellen Mitteln versuchten, "unsere Demokratie zu untergraben und zu Fall zu bringen". Feige warnte: "Nicht jeder, der demokratisch gewählt wird, ist ein Demokrat."
"Zugleich tun sich auf einmal menschliche Abgründe auf, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte", sagte der Bischof weiter. "War mir bis vor einiger Zeit unverständlich, wie es zur Begeisterung breiter Volksmassen für den Nationalsozialismus kommen konnte, ahne ich inzwischen immer mehr, wie verführerisch Menschen zu allen Zeiten sein können."
Feige warnte davor, die rechtlichen, sozialen und humanitären Errungenschaften aufs Spiel zu setzen. "Entgegen allen fremdenfeindlichen und rassistischen, antisemitischen und rechtsextremistischen Tendenzen, allen populistischen Feindbildern und Verschwörungstheorien, allen hasserfüllten Protesten und gewalttätigen Übergriffen, die seit einiger Zeit zu verzeichnen sind, brauchen wir mehr denn je noch stärkere politische Bemühungen, die konsequente Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols, eine solidarische Zivilgesellschaft und eine neue Kultur der Mitmenschlichkeit", forderte er.
"Mauern in den Köpfen und Herzen vieler Menschen"
Der Bischof räumte ein, außer "großartigen Erfolgen" habe es in den vergangenen 30 Jahren auch "maßlose Enttäuschungen" gegeben. So existierten "nach wie vor Mauern in den Köpfen und Herzen vieler Menschen, gelingt es zwischen Ost und West nicht immer, sich wirklich zu verstehen oder verständlich zu machen".
Er kritisierte: "Noch immer sind manche Unterschiede - vor allem bei den Gehältern - zu groß, sollen in entscheidenden Bereichen über drei Viertel der Führungspositionen im Osten durch Westdeutsche besetzt sein, haben sich objektive Lebensverhältnisse als auch Einstellungen gegenüber Politik und Gesellschaft noch nicht vollständig angenähert." Dennoch wünsche er sich "nicht einen einzigen Augenblick lang" die DDR zurück.