Bischof Ramazzini über Migration und Wirtschaftskrise

"Guatemala verliert viele junge Menschen"

Migration ist für viele Staaten Lateinamerikas ein dringendes Problem. Viele Menschen riskieren ihr Leben, um ins "gelobte Land", die USA, zu kommen. Und wenn sie es erreichen, leben sie dort meist in ständiger Unsicherheit. Bischof Alvaro Leonel Ramazzini Imeri betreibt im mittelamerikanischen Guatemala eine aktive Migrantenseelsorge. Im Interview spricht Ramazzini von der Not der Menschen und den Möglichkeiten zur Hilfe.

Migrantenseelsorge: Bischof Alvaro Leonel Ramazzini Imeri (KNA)
Migrantenseelsorge: Bischof Alvaro Leonel Ramazzini Imeri / ( KNA )

KNA: Was bedeutet die Migration für Guatemala?
Ramazzini: Tausende Menschen verlassen aus purer Not ihre Heimat. Sie versuchen, in die USA zu kommen, um von dort aus ihre Familien zu Hause zu unterstützen. Der Weg in die USA ist gefährlich. Es gibt Übergriffe von Schleppern und der Drogenmafia. Viele Menschen kommen auf dem Weg in den Norden ums Leben. Guatemala verliert viele junge Menschen, die wichtig für unser Land sind - oder sein könnten, wenn die Arbeitsbedingungen hier anders wären. Außerdem fallen die Familien auseinander; viele Kinder kennen ihre Väter nicht, weil die ausgewandert sind, als die Kinder noch sehr klein waren. Viele Guatemalteken werden übrigens wieder aus den USA abgeschoben. Allein in diesem Jahr zählen wir schon 35.000.

KNA: Heißt das, dass sie in den USA als Illegale aufgegriffen wurden?
Ramazzini: Wir vermeiden das Wort «illegal», weil wir der Überzeugung sind, dass kein Mensch illegal ist. Wir sprechen von «Menschen ohne Dokumente» oder «ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis». In den USA darf jetzt in einigen Staaten sogar die Polizei - und nicht nur der Einwanderungsbehörde -Menschen ohne diese Dokumente einsperren und abschieben. Viele Migranten auf dem Weg von Guatemala in die USA werden auch schon in Mexiko festgenommen.

KNA: Gibt es Angaben, wie viele Menschen täglich versuchen, die mexikanische Grenze in Richtung USA zu überschreiten?
Ramazzini: Zahlenangaben sind schwierig, die Menschen sind ja meist heimlich unterwegs.

KNA: Inwieweit hängt die Wirtschaft in Guatemala von den Überweisungen ab, die von Landsleuten aus den USA kommen?
Ramazzini: Nach den Exporterlösen ist das die zweitgrößte Einkommensquelle des Landes. Allerdings rechnet man aufgrund der Wirtschaftskrise mit einem Rückgang der Überweisungen um 15 Prozent. Das ist ein sehr harter Schlag für die Wirtschaft Guatemalas und für die betroffenen Familien.

KNA: Wie reagiert die katholische Kirche auf die Herausforderung der Migration?
Ramazzini: In der Bischofskonferenz haben wir die «Pastorale Kommission für Menschen unterwegs» gegründet, die unter meiner Leitung steht. Wir wollen die Gemeinden für die Migranten sensibilisieren. Wir veranstalten ständig Bildungskurse zum Thema Migration.

KNA: In der Grenzstadt Tecun Uman gibt es ein «Haus des Migranten». Wie ist es dazu gekommen?

Ramazzini: Das ist ein gemeinsame Initiative mit den Scalabrini-Missionaren. Deren besonderes Charisma ist die Seelsorge und das soziale Engagement für die Migranten. Wir können in diesem Haus an der Grenze zu Mexiko bis zu 70 Migranten aufnehmen.
Normalerweise bleiben sie drei Tage und erhalten Essen, Kleidung, ein Bett und falls nötig auch medizinischen und juristischen Beistand.

KNA: Im Juni hatten Sie in Guatemala ein Treffen mit Bischöfen aus Nord- und Mittelamerika zum Thema Migration. Was waren die Ergebnisse dieses Treffens?

Ramazzini: All diese Länder sind von dem Problem betroffen. In den jeweiligen Bischofskonferenzen gibt es Kommissionen für die Migranten. In einer gemeinsamen Abschlusserklärung haben wir von den Regierungen eine umfassende Migrationspolitik gefordert, die die Menschenwürde und das Leben der Migranten respektiert und auch die Gründe für die Migration berücksichtigt.

Interview: Martin Maier SJ