Bischof Reinelt sieht im Kampf gegen den Rechtsterror auch die Kirchen in der Pflicht

"Jetzt zeigt der Neonazismus sein wahres Gesicht"

Der Bischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, sieht im Rechtsextremismus eine Herausforderung für die Kirchen. Nach den jüngst bekannt gewordenen Morden müssten sie die Gesellschaft verstärkt für dieses Problem sensibilisieren.

Der Altbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt (DR)
Der Altbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt / ( DR )

KNA: Herr Bischof, haben Sie die Morde der neonazistischen Terrorzelle überrascht?

Reinelt: Diese Taten waren für mich zunächst unbegreiflich. Denn in der letzten Zeit haben viele Rechtsextremisten versucht, sich vornehm zu geben. Dass Neonazis zu einer solchen Gewalt greifen, ist für mich eine Entwicklung, die wir aufmerksamer verfolgen müssen.



KNA: Inwiefern geben sie sich "vornehm"?

Reinelt: Rechtsextremisten versuchen, durch soziale und kulturelle Angebote Menschen zu gewinnen, die in schwieriger Situation sind. Es ist eine Taktik nach Art des Rattenfängers von Hameln. Aber die jetzt bekannt gewordene Gewalt gegen Ausländer ist natürlich eine ganz neue Sprache. Jetzt zeigt der Neonazismus sein wahres Gesicht.



KNA: Warum sind junge Ostdeutsche besonders anfällig dafür?

Reinelt: Es spielt sicher eine ganz starke Rolle, dass bei der jungen Generation in manchen Regionen der östlichen Länder der Zugang zu Arbeit und Anerkennung fehlt. Da entwickelt sich eine Wut, die sich auslässt in gemeinsamen Hassprogrammen.



KNA: Inwieweit sind die Kirchen dadurch herausgefordert?

Reinelt: Wir müssen auf die Gesellschaft auch in solchen Fragen verstärkt einwirken. Gerade in Sachsen geschieht das bereits. Wir bemühen uns sehr, die Bevölkerung insgesamt für dieses Problem zu sensibilisieren. Das Problem ist, dass wir diejenigen, die besonders zur Gewalt neigen, so gut wie nicht erreichen.



KNA: Was tut das Bistum Dresden-Meißen?

Reinelt: Wir haben etwa anlässlich der Seligsprechung des sorbischen Priesters Alojs Andritzki, der im Konzentrationslager starb, in diesem Jahr ganz intensiv an die Verbrechen der Hitlerzeit erinnert und daran, dass diese Jahre nicht einfach abgehakt sind.



KNA: Wie bewerten Sie die Reaktionen der Gesellschaft insgesamt nach Bekanntwerden der Neonazi-Morde?

Reinelt: Dabei vermisse ich vor allem die Einsicht, dass die junge Generation ein sinnerfülltes Leben sucht und nicht von heute auf morgen in irgendeine Richtung geschoben werden will. Da geschieht in der Gesellschaft viel zu wenig, da sind wir auch als Kirche gefragt.



KNA: Ist die Gesellschaft auf dem rechten Auge blind gewesen?

Reinelt: Das wäre sicher zu stark formuliert. Die Rechtsextremisten sind eigentlich schon viel stärker im Visier gewesen als die Linksextremisten, bei denen es ja auch sehr gefährliche Zellen gibt. Aber man hat die Rechtsradikalen für eine Gruppe gehalten, die ihre Wut rauslässt, aber nicht mit solchen schrecklichen Aktionen gerechnet. Das ist jetzt anders.



Das Gespräch führte Gregor Krumpholz.