DOMRADIO.DE: Das Verhältnis von Profit und Moral ist spätestens seit der Finanz- und Schuldenkrise in der öffentlichen Wahrnehmung ein Dauerbrenner geworden.
Man fragt sich, wie geht christliches Handeln mit wirtschaftlichen Interessen überhaupt zusammen. Mit welchen Fragen beschäftigt sich ein Verband, dem allein im Erzbistum Köln 160 katholische Unternehmer angehören?
Dr. Harald Rubner (Diözesanvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer sowie Managing Director und Senior Partner bei der Boston Consulting Group): Wir sehen unser Engagement in drei Bereichen. Zunächst sind da die Fragen, die Unternehmer per se interessieren und worüber sie den Austausch suchen: zum Beispiel über eine christlich-ethische Unternehmensführung.
Oder: Wie gehe ich mit einer Krise um? Wie stelle ich mich nachhaltig auf? Was ändert sich im Wirtschaftsgeschehen? Welchen Einfluss haben neue Gesetze auf mein Unternehmen?
Darüber hinaus bieten wir regelmäßig Besuche bei großen Unternehmen wie zuletzt bei dem Reycling-Riesen Remondis, bei den Fordwerken oder beim Braunkohletagebau von RWE an. Oder aber wir laden zu "Mittagstischen" ein, einem Format mit Impulsvorträge und anschließender Diskussion, wobei es immer um kirchlich, gesellschaftlich oder unternehmerisch relevante Themen geht, die letztlich unser besonderes – nämlich das christlich-unternehmerische Profil – abbilden.
Im Zweiten geht es um einen spirituellen Austausch. So beten wir beispielsweise vor Beginn jeder Sitzung miteinander. Außerdem laden wir einmal monatlich zu einem Gottesdienst mit unserem Geistlichen Beirat, Innenstadtpfarrer Dominik Meiering, in eine der Kölner Kirchen ein.
Und das Dritte ist der gesellschaftliche und gesellige Aspekt, bei dem wir auch unsere Familien einbeziehen.
Bei unseren Sommerfesten zum Beispiel sind dann vom Kleinkind bis zu den Senioren alle Generationen vertreten, was viel Raum für intergenerationale Gespräche schafft und jüngeren Kollegen die Gelegenheit bietet, an dieses interessante Netzwerk anzudocken, von den Älteren zu lernen, ihnen aber auch umgekehrt eigene Empfehlungen zu geben und das großes Spektrum unseres Verbandes auf verschiedenen Erfahrungsebenen kennenzulernen. Das ist ein Geben und Nehmen.
DOMRADIO.DE: Sie sehen sich als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Kirche und Politik. Beim unternehmerischen Denken geht es aber doch eigentlich immer um Gewinnmaximierung.
Trotzdem verfolgen Sie innovative Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, konkret eine ethische Führung nach christlichen Werten. Was zeichnet einen christlichen Unternehmer denn aus?
Hans Pfeifer (Vorstand der Diözesangruppe des BKU und Vorstandsvorsitzender a. D. des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbandes): Vertrauen, Fairness, Ehrlichkeit, gegenseitige Wertschätzung, Berechenbarkeit, Loyalität, Partnerschaftlichkeit – auch wenn viele glauben, dass man damit in der rauen Wirklichkeit wirtschaftsgesteuerter Interessen nicht weiterkommt.
Meines Erachtens aber ist das gar kein Widerspruch. Früher gab es den "ehrbaren Kaufmann", der alle diese Tugenden verkörperte.
Natürlich muss man als Unternehmer Gewinne machen, aber das auf anständige Weise zu machen widerspricht keineswegs unternehmerischem Denken.
Klar, das ist ein hoher Anspruch, und sich selbst infrage zu stellen gehört manchmal auch mit dazu. Aber es ist durchaus möglich, christliche Werte im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern, aber auch mit den Kunden zu leben – selbst wenn das eine große Herausforderung ist.
Rubner: Ich würde noch einen Schritt weiter gehen: Wenn ich praktiziere, was mir wichtig ist – wahrhaftig sein und eine höhere Instanz wie Gott in meinem Leben zu akzeptieren – habe ich auch Erfolg, vielleicht sogar einen noch größeren.
Ich behaupte sogar: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Das heißt, die Frage lautet nicht, kann ich mit Anständigkeit Profit machen?
Sondern: Ich bin erfolgreich und erwirtschafte Gewinne, weil ich integer handle und mich von einem christlichen Selbstverständnis leiten lasse.
Ich bin davon überzeugt, es entsteht sogar eine win-win-Situation, wenn man seinen ethischen Grundsätzen folgt. Nicht die vorübergehende Gewinnmaximierung, sondern Nachhaltigkeit überzeugt den Kunden.
Geschäfte zu machen ist doch an sich erst einmal gar nichts Schlechtes. Es geht um das Wie. Und da muss man heute vertrauenswürdig und fair sein.
So war das doch früher bei den Genossenschaften: Man half sich gegenseitig. Es ging nicht immer um mehr und noch mehr.
Ein Unternehmer will etwas Nachhaltiges schaffen, er denkt über Generationen hinweg. Die Gier läuft sich ohnehin früher oder später tot.
DOMRADIO.DE: Was ist dabei das Anliegen des BKU?
Pfeifer: Ähnlich wie bei der genossenschaftlichen Idee leitet auch uns das Motto: Einer für alle – alle für einen. Füreinander einstehen, gleichberechtigt und auf Augenhöhe.
Wenn man sich in einem Netzwerk wie dem BKU gegenseitig hilft, kann man Krisen besser überstehen und erfolgreich arbeiten.
Eigentlich brauchen wir nur die Zehn Gebote, die wir für unsere Belange umgeschrieben haben, zu beachten. Dann haben wir die Basis für eine vernünftige christliche Menschenführung.
DOMRADIO.DE: Können Sie ein Beispiel nennen?
Pfeifer: In Anlehnung an das erste Gebot "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" heißt es bei uns – spiele dich nicht als Herrgott auf und halte dich nicht für allwissend und allmächtig. Höre auf dein Gewissen und auf deine Mitarbeiter.
Sei kritisch dem Zeitgeist gegenüber und orientiere dich an bleibenden Werten. Oder das zweite Gebot, in dem es darum geht, den Namen Gottes nicht zu missbrauchen, bedeutet für uns: Verstecke deine Geschäftsinteressen nicht hinter hohen moralischen Ansprüchen.
Im vierten Gebot geht es darum, Vater und Mutter zu ehren. Wir übersetzen das für uns so: Fördere den Einsatz älterer Mitarbeiter so wie du jungen Menschen eine Chance gibst.
Rubner: Trotzdem sind diese "Zehn Gebote" kein festgeschriebenes Regelwerk, was ein christlicher Unternehmer zu tun hat, sondern immer auch ein offener Dialog. Fördern und fordern – das ist eine wichtige Maxime.
Zu uns gehören ja auch viele Familienunternehmer, die ihre Mitarbeiter bei ihren Ideen mitnehmen, ihnen ein Stück Orientierung – auch Sinn – geben müssen. Da hilft ein solcher Kompass.
Überhaupt trifft man bei uns im Verband ein breites Spektrum interessanter Menschen: Startups gehören genauso dazu wie Politiker, Vertreter von Mittelstands- und Großunternehmen, aber auch die Ein-Mann-Kanzlei.
Die Mischung macht’s, und für alle ist der Dialog eines solchen Netzwerkes ein Gewinn. Ganz entscheidend für uns ist, dass wir völlig unabhängig sind. Wir bekommen keinerlei Zuschüsse von der Kirche.
DOMRADIO.DE: Auf Ihrer Frühjahrstagung im Maternushaus haben Sie sich jüngst mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Auch die Auseinandersetzung mit der Armutsfrage ist immer wieder ein Thema beim BKU. Um was geht es Ihnen dabei?
Rubner: Zunächst einmal wollen wir Armut identifizieren: in unserer Nachbarschaft, in unserer Gemeinde. Daraus leiten wir für uns dann einen Imperativ der konkreten Hilfe ab.
Im Herbst werden wir Professor Werner Schönig von der KatHo zu Gast haben und eine Tagung zusammen mit der Päpstlichen Stiftung CAPP, mit Michaela Hofmann vom Caritasverband und der Streetworkerin Maria Schlenkrich zu diesem drängenden Thema anbieten.
Denn wir wollen unsere unternehmerische Verantwortung wahrnehmen, die für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Das heißt: bei Not nicht wegsehen.
Noch einmal: Wir sind nur erfolgreich, wenn wir auch nachhaltig sind. Ein Unternehmer will etwas schaffen und hinterlassen. Und dazu gehört auch sein soziales Gewissen.
DOMRADIO.DE: Das zeigt, in der rauen Wirklichkeit der Finanzwelt positionieren Sie sich gerade bei dem Armutsthema klar als Christen und wollen aus diesem Selbstverständnis heraus Verantwortung für die Welt übernehmen.
Wie sieht das denn jenseits solcher Tagungen aus? Tauschen Sie sich im Alltag auch über Glaubensfragen aus?
Rubner: Das gehört für uns dazu. Wie gesagt, vor jeder Veranstaltung beten wir oder teilen Gedanken aus der Bibel, wobei die Heterogenität unseres jeweiligen Glaubensverständnisses ganz belebend ist. Die Rückbindung an unseren Glauben, die unser Markenkern ist, wird an vielen Stellen sichtbar.
Wenn ich die drei Buchstaben BKU einmal interpretiere, dann geht es – auf den Punkt gebracht – um Gemeinschaft und partnerschaftliches Unterwegssein, um ethisches und soziales Handeln als Unternehmer auf der Grundlage meiner persönlichen Spiritualität und Glaubensüberzeugung.
Pfeifer: Ganz bewusst haben wir ja auch einen Geistlichen Beirat, mit dem wir uns regelmäßig austauschen oder Gottesdienst feiern, weil Gespräche über unseren Glauben eine zentrale Rolle spielen.
Auch wenn wir unternehmerische Fragestellungen vorrangig aus der wirtschaftlichen Perspektive sehen, spielt unser Christsein da immer mit hinein, weil das ja unserem Selbstverständnis entspricht.
Das, was mich persönlich trägt, klammere ich von daher bei keiner wichtigen Entscheidung mein Unternehmen betreffend aus. Erst bin ich Christ und dann Ökonom.
DOMRADIO.DE: Ist diese Selbstaussage nicht eher Wunschvorstellung?
Pfeifer: Für mich liegt darin kein Widerspruch. Wenn ich Christ bin, spielt das auch für mein Unternehmertum eine Rolle, schließlich gehört mein Glaube zu mir als Mensch und zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Zuerst war ich Christ, und dann bin ich doch erst Unternehmer geworden. Beides gehört zu mir.
Rubner: Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass man meint, mit wirtschaftlichem Agieren gingen eine gewisse soziale Kälte, eine Degenerierung des Miteinanders, eine zunehmende Individualisierung, Egoismus und der Verlust des Gemeinschaftsgefühls einher.
Aber das hat nichts mit Unternehmertum an sich zu tun. Leider ist das typisch deutsch, dass die Wirtschaft in unserer Gesellschaft schlecht angesehen ist. Dabei gibt es dafür keine Evidenz. Tatsache ist, dass wir alles tun, um diesen Motor Wirtschaft am Laufen zu halten.
Und dieser Motor finanziert unseren Lebensstandard, unsere Sozialleistungen, die Bildung, das Gesundheitswesen, die militärische Verteidigung und vieles mehr. Wir sollten nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.
Früher haben wir manches Problem als Individuum selber gelöst, heute erwarten wir von unserem Arbeitgeber oder in letzter Instanz vom Staat, dass er alles für uns regelt und einspringt, wo wir alleine nicht weiterkommen.
Das führt zu immer mehr Forderungen, die den Einzelnen aus der Verantwortung nehmen. Gleichzeitig muss sich jemand, der unternehmerisch tätig ist, immer für das, was er tut, verteidigen.
Wenn man Unternehmern etwas vorwerfen kann, dann, dass sie sich zu wenig in gesellschaftliche und politische Prozesse einbringen. Sie müssten in der allgemeinen Diskussion sehr viel mehr mit ihrem Denken und einer sozial-verantwortlichen Perspektive präsent sein.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.