Nach 1945 waren Flüchtlinge und Heimatvertriebene bei ihren westdeutschen Landsleuten alles andere als willkommen. "Geht doch dahin zurück, wo ihr hergekommen seid", mussten sie sich anhören. Als "Rucksackdeutsche" wurden die Habenichtse verspottet - und eher widerwillig in beschlagnahmten Wohnungen einquartiert. Keine gute Ausgangslage für ein friedliches Miteinander.
Augustinerpater Paulus Sladek: "Bausteine, nicht Dynamit"
Als Folgelast des verlorenen Kriegs waren allein in Bayern bis 1950 fast zwei Millionen Menschen aus dem Osten unterzubringen.
Sowjetherrscher Josef Stalin setzte darauf, dass die gewaltsame Bevölkerungsverschiebung die Besatzungszonen seiner einstigen Alliierten destabilisieren würde. Dass es anders kam, ist auch Vereinigungen wie der Ackermann-Gemeinde zu verdanken, die vor 75 Jahren in München entstand. "Bausteine, nicht Dynamit" für den Wiederaufbau Deutschlands wollte der Augustinerpater Paulus Sladek aus den Vertriebenen machen.
Sladek war in Böhmisch Leipa aufgewachsen, er hatte deutsche und tschechische Verwandte - und er war überzeugt: Nur ein Bekenntnis der eigenen Schuld und eine Bitte um Vergebung, beiderseitig ausgesprochen, könnte Deutsche und Tschechen freimachen für einen gemeinsamen Neuanfang.
Engagement in der neuen Heimat
In München traf der Pater im Herbst 1945 einen alten Freund aus Zeiten der CSR, den christlichen Gewerkschafter und späteren CSU-Spitzenpolitiker Hans Schütz. Gemeinsam bildeten sie die Keimzelle der Ackermann-Gemeinde. Ihren Zusammenschluss benannten sie nach einer böhmischen Dichtung aus dem Spätmittelalter, die die Gerechtigkeitsfrage nach einem herben Verlust thematisiert und Gott als Richter auftreten lässt.
Flüchtlingsseelsorge, Lastenausgleich - kirchliche und politische Pioniertaten für die Heimatvertriebenen sind mit den Namen Sladek und Schütz verbunden. Beide griffen ihren Schicksalsgenossen nicht nur materiell unter die Arme, sie warben auch dafür, "nicht auf gepackten Koffern sitzen zu bleiben", sich in der neuen Heimat zu engagieren und den eigenen Anteil am erlittenen Unrecht nicht auszublenden. So wirkten sie Verbitterung und Revanchegelüsten entgegen.
Dieser kirchliche Beitrag zum inneren Frieden in der jungen Bundesrepublik wurde lange übersehen. Auch in der eigenen Kirche gab es Vorbehalte. "Böhmisch-katholisch", nicht römisch-katholisch seien die Zuzügler, hieß es da, und das war durchaus abschätzig gemeint.
Weil aber das christliche Selbstverständnis die landsmannschaftliche Prägung überwog, unterstützte die Ackermann-Gemeinde in der verlorenen Heimat bald auch verfolgte Glaubensgeschwister, die nicht zur eigenen Volksgruppe gehörten. Der Schmuggel von Bibeln, theologischen Fachbüchern und sogar von Kopiergeräten erfuhr in den 1960er Jahren einen Aufschwung, nachdem private Einreisen in die kommunistische CSSR wieder möglich waren.
Feier mit bunten Picknick in Prag
Die Empfänger der Zuwendungen ließ man zu ihrem eigenen Schutz bewusst darüber im Unklaren, dass die Hilfsgüter über das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde zentral beschafft worden waren. Von der Förderung profitierten mehr als 1.200 Priester hinter dem Stacheldraht. Dabei war von Vorteil, dass sich sudetendeutsche und tschechische Geistliche aus ihrer gemeinsamen Zeit im Priesterseminar kannten.
Nach dem Wendejahr 1989 ließ sich an diese Kontakte anknüpfen. 1991 richtete die Ackermann-Gemeinde ein Verbindungsbüro in Prag ein; daraus erwuchs die tschechische Sdruzeni Ackermann Gemeinde.
Deren Vorsitzender ist heute der christdemokratische Politiker Daniel Herman, ein laisierter Priester und einstiger Sprecher der tschechischen Bischofskonferenz. 2016 hielt Herman als tschechischer Kulturminister beim Sudetendeutschen Tag in Nürnberg eine historische Rede. Auf deutsch drückte er sein Bedauern über die Vertreibung aus. Für seine Verdienste als Brückenbauer erhielt Herman beim Sudetendeutschen Tag am 17. Juli in München den Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft.
Am 7. August will die Ackermann-Gemeinde ihr Jubiläum in Prag feiern: mit einem bunten deutsch-tschechischen Picknick auf dem Vysehrad. "Es ist so viel an Miteinander und Versöhnung gewachsen, das wollen wir auch zeigen", sagt Bundesgeschäftsführer Matthias Dörr. "Unsere Gründer konnten nur davon träumen."