DOMRADIO.DE: Die Bonner Münsterpfarrei fördert eine Schwesterngemeinschaft in Nairobi, die Mädchen im Alter von elf bis fünfzehn Jahren aufnimmt. Was ist das für eine Gemeinschaft?
Julian Fibig (Ansprechpartner für die Nairobi-Partnerschaft an der Bonner Münsterpfarrei): Ursprünglich ist das der "Edelvale Trust" gewesen. Das sind irische Nonnen, die in Nairobi einen Standort um 1956 gegründet haben. Das Ganze ist dann in die kenianische Strukturen eingewachsen. Nach dem Ende der Kolonialzeit haben es kenianische Schwestern übernommen. Nun werden dort verschiedene Projekte von diesen Schwestern geführt, die dem Orden der "Sisters of Our Lady of Charity" angehören.
DOMRADIO.DE: Woher kommen diese Mädchen zwischen elf und fünfzehn Jahren, die mit den Schwestern dort zu tun haben oder wahrscheinlich auch leben?
Fibig: Sie leben dort alle zusammen auf einem großen Areal, das paradiesisch anmutet. Drum herum ist das chaotische Nairobi, eine riesige Stadt in Kenia. Hier befinden sich drei Hauptslums. Der sogenannte Kibagare-Slum grenzt direkt an. Dort kommt auch ein Großteil der Mädchen her.
Die Mädchen werden dort von sogenannten Streetworkern angesprochen. Leuten, die aus dem sozialen Bereich der staatlichen Fürsorge kommen. Sie vermitteln die Mädchen an entsprechende Stellen. So eine Stelle ist eben diese "Edelvale Homes" Organisation von unseren Schwestern.
DOMRADIO.DE: Woher kommen die Mädchen und wie ist deren Situation? Sind das Mädchen, die keine Eltern haben oder sind das Mädchen, die zwar eine Familie haben, aber zu große finanzielle Schwierigkeiten haben, um zu überleben?
Fibig: Der Hintergrund ist sehr unterschiedlich. Viele von diesen Mädchen haben Elternteile verloren, was auch in Nairobi in den Slums nicht selten vorkommt. Verschiedene Krankheiten, unter anderem HIV und Aids können die Ursache gewesen sein. Aber auch Drogenmissbrauch führt häufig dazu, dass Menschen sterben oder sich nicht um ihre Kinder kümmern können.
Andererseits gehört aber auch große Armut dazu, sodass sich Eltern und Familie nicht um ihre Kinder so kümmern können, dass sie diese auch in die Schule schicken könnten. Insbesondere sind die Schuluniformen ein großer Punkt. In Kenia ist das englische Erbe noch zu spüren. Die Schuluniform ist an den staatlichen Schulen und auch an den privaten Schulen verpflichtend. Man muss das Geld dafür aufbringen. Das wären nach europäischen Verhältnissen lächerliche Summen. Aber für die kenianischen Familien, die sechs oder sieben Kinder zur Schule schicken möchten, ist das eben nicht leistbar.
Aus diesem Grund gibt es den Bedarf, dort finanziell zu unterstützen. Unterstützung ist aber auch nötig, wenn die familiären Verhältnisse besonders schwierig sind, weil beispielsweise viele Familien zusammen in einem kleinen Haus leben. Denn die Mädchen sollen auch ihren Freiraum bekommen und geschützt werden, vor allen Dingen vor Übergriffen durch männliche Verwandte. Sie finden deshalb Unterschlupf bei den Schwestern dort auf diesem Areal.
DOMRADIO.DE: Die Jungs haben das Problem weniger, richtig?
Fibig: Ja, das muss man eindeutig so sagen. Grundsätzlich werden die Jungen, was Bildung angeht, vorgezogen. Auch was die Arbeitssituation angeht, ist es für Jungen in der Regel einfacher. Man muss als ganz großen Punkt immer noch hervorheben, dass sexuelle Übergriffe auch innerhalb der Familie keine Seltenheit sind.
Es gibt ganz viele Familien, die sich gut um ihre Kinder in Nairobi kümmern. Dort leben viele gute Menschen. Aber es besteht das Problem, dass auch Alkoholmissbrauch dazu führt, dass es zu sexuellen Übergriffen in der innersten Schutzzone kommt. Da möchten wir eben unterstützen.
DOMRADIO.DE: Am Donnerstag ab 18 Uhr wird es im Gangolfsaal am Bonner Münster einen Diskussionsabend geben, der genau da ansetzt. Worüber wird dort diskutiert?
Fibig: Es ist so, dass sich unser Projekt ein bisschen neu formiert hat. Es hat schon seit 1979 diese Partnerschaft mit Nairobi gegeben. In den letzten Jahren haben wir es nicht geschafft, eine so große Reichweite aufzubauen. Mit diesem Vortrag, den wir im Gangolfsaal des Bonner Münsters organisiert haben, wollen wir einen Auftakt und Anknüpfungspunkt bieten, um dann wieder neue Projekte starten zu können.
Wir haben mit Dr. Lütke Entrup einen besonderen Gast eingeladen. Dieser Mann unterstützt das Projekt schon seit mehr als 40 Jahren und ist beinahe einmal im Jahr mit seinem Bruder in Nairobi und kennt die Schwestern so gut wie niemand von uns. Er wird aus erster Hand berichten, wie das Leben vor Ort derzeit aussieht, wie es den 30 Mädchen, die dort wohnen und den 50, die beschult werden, geht und wie die aktuellen Bedürfnisse vor Ort sind.
DOMRADIO.DE: Wird es auch um entwicklungspolitische Zusammenarbeit gehen?
Fibig: Das ist dann der zweite Teil. Der wird von der Privatdozentin Dr. Youkhana begleitet und vor allen Dingen ausgefüllt. Sie arbeitet an der Universität Bonn und forscht zum Thema Entwicklungspolitik, vor allen Dingen zum Thema Familien und Frauen.
Sie wird uns als Expertin darüber informieren, wie entwicklungspolitische Arbeit funktionieren kann und wie insbesondere die Frauen in die entwicklungspolitische Arbeit einbezogen werden können und wie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gelingt, sodass Rechte von Frauen besser geschützt werden.
Das Interview führte Dagmar Peters.