Brasilien startet seine Wahrheitskommission

Die Stunde der Wahrheit

In Brasilien nimmt die Wahrheitskommission ihre Arbeit jetzt offiziell auf. Damit beginnt eine auf zwei Jahre angelegte Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen aus der Zeit zwischen 1946 und 1988.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (KNA)
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff / ( KNA )

Für ihre ausgewogene Kandidatenauswahl erntete Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff durchweg Lob. Dabei zeigten bereits die ersten Äußerungen der Mitglieder, wie schwierig es sein wird, eine gemeinsame Arbeitsbasis zu finden. Rousseff hatte sich Zeit gelassen. Nachdem der Kongress der Einrichtung der Kommission im November zustimmte, hatte die Präsidentin sechs Monate Zeit, die sieben Mitglieder zu benennen.  Diese Frist ließ sie trotz massiven öffentlichen und medialen Drucks verstreichen. Auch ein Manifest aus den Reihen der Militärs, die die Kommission als puren Revancheakt für die Militärdiktatur (1964-1985) ansehen, ließ die Präsidentin kalt.



Der Kommission gehören Ex-Justizminister Jose Carlos Dias, der Verfassungsrichter Gilson Dipp, Ex-Bundesstaatsanwalt Claudio Fonteles sowie die Psychologin Maria Rita Kehl, ferner der Anwalt und Schriftsteller Jose Paulo Cavalcanti Filho sowie Paulo Sergio Pinheiro an, derzeit Mitglied der UN-Inspektionsgruppe in Syrien. Die wohl spektakulärste Ernennung ist die der Anwältin Rosa Maria Cardoso da Cunha. Sie verteidigte in den 70er Jahren die damals wegen Guerilla-Tätigkeiten vor Gericht stehende Rousseff.



Was wird aufgeklärt?

Die Kommission will sich nach Worten Cunhas nicht darauf beschränken, das Verschwinden von Hunderten Oppositionellen während der Diktatur zu untersuchen. Geklärt werden müsse auch die Verwicklung von Staatsbediensteten in die Verbrechen. Der Ex-Justizminister Dias, der ebenfalls in der Diktatur Oppositionelle verteidigte, betont, dass das Gremium die Verbrechen "von beiden Seiten" untersuchen müsse.



Damit stieß er auf breite Ablehnung. Schließlich gehe es darum, die bislang ungesühnten Verbrechen der Militärs aufzudecken und nicht Straftaten, die die Opposition gegen das illegitime Regime begangen habe, so der Tenor der Kommentare. Dies gelte umso mehr, als die Oppositionellen ja bereits von den Militärs abgeurteilt und bestraft worden seien. Die Folterer des Regimes seien dagegen bislang straffrei ausgegangen.



Auch unter den Kommissionskollegen stieß Dias" "Zwei-Seiten-These" auf Unverständnis. "Keine einzige Wahrheitskommission hat sich je dieses Blödsinns der zwei Seiten angenommen", so Sergio Pinheiro mit Blick auf die weltweit bislang gut 40 Wahrheitskommissionen: "Dass die Handlungen von Tätern und Opfern gleich behandelt werden, das gibt es nicht." Brasiliens Militär hatte seine Zustimmung indes stets davon abhängig gemacht, dass auch die von Oppositionellen begangenen Menschenrechtsvergehen untersucht werden müssten, um einen Revanchismus zu verhindern.



Abschluss in spätestens 2014

Verfassungsrichter Dipp betonte, dass ohnehin niemand durch die Arbeit der Kommission "abgeurteilt" oder "verurteilt" werde. Allerdings ist unter Rechtsexperten strittig, ob die 1979 von den Militärs beschlossene allgemeine Amnestie die Täter tatsächlich dauerhaft vor einer Strafverfolgung schützen kann.



Zwar hat Brasiliens Oberstes Gericht bereits mehrfach die Gültigkeit der Amnestie bestätigt; international wird eine Selbstamnestie durch Täter jedoch als nicht rechtskräftig eingestuft. So hat der Menschenrechtsgerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Brasilien bereits mehrfach aufgefordert, strafrechtlich gegen Folterer und Mörder des Regimes vorzugehen. Zudem könnte der Staat die Täter zivilrechtlich belangen. Da Zehntausende Opfer Entschädigungen vom Staat erhalten, könnte dieser seinerseits die Täter haftbar machen.



Eine solche Entscheidung läge freilich bei der Regierung. Vorbeugend unterstreicht Gilson Dipp, dass es sich um eine "Kommission des Staates und nicht der Regierung" handele. Fraglich nur, ob diese Position im Verlauf der Arbeit aufrecht zu halten ist. So oder so: In spätestens zwei Jahren sollen die sieben Auserwählten ihren Abschlussbericht vorlegen.