In Brasilien wächst der Widerstand gegen die Fluss-Umleitung

Die Früchte des Hungerstreiks

Ungeachtet öffentlicher Proteste hat das Militär im Nordosten Brasiliens den Bau der gigantischen und heftig umstrittenen Umleitung des Rio Sao Francisco wiederaufgenommen. Luiz Flavio Cappio, der bis kurz vor Weihnachten einen 24-tägigen Hungerstreik gegen das Projekt führte, kündigt bereits neue, breit angelegte Protestaktionen an: "Der Kampf geht weiter." Sein Optimismus scheint berechtigt, denn der Franziskanerbischof hat viele wachgerüttelt.

 (DR)

Die Regierung, so der 61-Jährige, verweigere den Dialog mit dem Volk und sei ausgerechnet gegenüber jenen gesellschaftlichen Gruppen "total unsensibel", die ihren Wahlsieg garantierten.

Von den Strapazen des Hungerstreiks erholt sich der stark abgemagerte Cappio nur langsam. Dabei wirkt er keineswegs gebrochen, sondern tief zufrieden. Im Gespräch lächelt er hintergründig. Denn mit seiner Aktion hat er die Nation weit stärker aufgerüttelt als mit einer ähnlichen Aktion vor zwei Jahren.

Anfangs hatte die Regierung diesmal durch Druck erreicht, dass die Medien kaum oder gar nicht über den Hungerstreik und die Argumente Cappios berichteten. Das verärgerte jedoch offenbar viele Journalisten und traf sie in ihrer Berufsehre. Die überraschende Folge: Nach dem Abbruch des Hungerstreiks publizierten gerade die Qualitätsmedien so viel Kritik an dem Umleitungsprojekt wie nie zuvor. Der anfangs verhöhnte Bischof wurde zum Sympathieträger.

Schwachstellen in der Darstellung der Regierung
Am Ende blamierte sich Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva auch mit seiner Empfehlung an Cappio, Vernunft anzunehmen und sich nicht in technische Fragen einzumischen, von denen er nichts verstehe. Denn just für die technisch-wirtschaftlichen Details der Flussumleitung interessieren sich die Brasilianer mehr denn je - und entdecken zunehmend Schwachstellen in der Darstellung der Regierung.

Lula zufolge sollen zwölf Millionen Arme in Dürreregionen durch das Projekt endlich Trinkwasser erhalten. Kritiker nennen dies schlicht falsch; mehr als 90 Prozent der umgeleiteten Wassermassen seien ausschließlich für Industrie und Export-Landwirtschaft bestimmt und nur 5 Prozent für bedürftige Menschen. Zudem fehle in jenen Regionen gar kein Trinkwasser; es regne mehr als etwa in Frankreich. Allerdings müsse das Wasser sinnvoll gespeichert und verteilt werden.

Auch der frühere Innenminister Joao Alves Filho betont, dass Wasser im Nordosten überreichlich vorhanden sei; Brasilia sage nicht die Wahrheit. Die Umleitung könne zum Tod des Rio Sao Francisco führen - und nur 700.000 Menschen erhielten durch sie tatsächlich Trinkwasser.

"Das gesamte Projekt fußt nur auf Lügen"
Der Schweizer Entwicklungsexperte Rene Scherer wird noch
deutlicher: "Das gesamte Projekt fußt nur auf Lügen", sagte Scherer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Einer der wichtigsten Gründe der Umleitung sei der Bau eines Stahlwerks im Hafen von Pecem im Nordosten.

Nach Scherers Worten gibt es Brasilien ein vorbildliches Gesetz, das öffentlichen Verbraucherkomitees der Trinkwasser-Einzugsgebiete die Entscheidungsbefugnis über Wasserprojekte überträgt. Aber Lula habe die Komitees einfach übergangen. In den rund 220.000 Zisternen zum Auffangen von Regenwasser, die die katholische Caritas des Landes fördert, sieht der Entwicklungsexperte eine echte Alternative zu der Umleitung. Auch die große Tageszeitung "O Estado de Sao Paulo" schlägt zuletzt kräftige Töne an: Die Bürger seien nicht mehr bereit, sich für das Milliardenprojekt nur noch mit "abgedroschenen Sprüchen" abspeisen zu lassen: "Die brasilianische Gesellschaft muss den Bau bezahlen und hat daher das Recht, klare Antworten zu fordern."

Von KNA-Mitarbeiter Klaus Hart