Bruder Paulus: Wir müssen rücksichtloser moralisch sein

Lehre aus Panama Papers

Nach den Panama Papers sieht Bruder Paulus Christen im Kampf gegen schmutziges Geld gefordert. Der Ethiker und Kapuziner findet die Enthüllungen empörend und wünscht sich mehr Zivilcourage.

"Alle bereichern sich nur" / © Sergei Chirikov (dpa)
"Alle bereichern sich nur" / © Sergei Chirikov ( dpa )

domradio.de: Dass Menschen aus dem Umkreis von Russlands Präsidenten Putin oder Syriens Diktator al-Assad in schmutzige Geldgeschäfte verwickelt sind, ist nicht besonders überraschend. Aber dass offenbar auch Leute wie der Premierminister des EU-Staates Island betroffen sind, ist schon schockierend. Was haben Sie gedacht, als Sie von den Enthüllungen gehört haben?

Bruder Paulus Terwitte: Ich habe gedacht “Gut, dass wir gerade Ostern hinter uns haben!“ Wir haben an Gründonnerstag und Karfreitag gesehen, wohin Verrat eigentlich führt. Und leider müssen wir sagen, dass Menschen immer wieder Verrat praktizieren. Menschen an den Schalthebeln der Macht, die sich ungesehen an Kanälen bedienen, an die man sonst einfach nicht dran kommt. Dass das jetzt aufgedeckt wird, finde ich sehr richtig und sehr gut. Aber es tut weh zu sehen, dass diese Dinge auch in so genannten zivilisierten Ländern offensichtlich gang und gäbe sind.

domradio.de: Worin genau liegt dieser Verrat?

Bruder Paulus Terwitte: Der Verrat liegt darin, dass Politiker und Geschäftsleute ja eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet sind, sich aber nicht daran halten. Je mehr politische oder wirtschaftliche Macht jemand hat, umso mehr müssten doch die Werte in seinem Herzen wachgerufen werden: "Ich will Gerechtigkeit achten! Ich will teilhaben lassen! Ich will dienen!" – All diese Dinge geraten aber offensichtlich außer Kontrolle, je größer die Möglichkeiten sind, illegale Machenschaften einfach mal eben zu verstecken und zu verbergen.

domradio.de: Die meisten Betroffenen sind ohnehin schon steinreiche Männer. Wozu wollen die unbedingt noch mehr scheffeln? Haben Sie eine Erklärung dafür?

Bruder Paulus Terwitte: "Der Appetit kommt beim Essen", sagt schon das Sprichwort. Sobald sich also Möglichkeiten abzeichnen, weitere Reichtümer anzuhäufen, bekommen die Wünsche wieder Junge und werden immer größer. Diesen Menschen fehlen schlicht gute Freunde, die ihnen ins Gewissen reden. Ich verstehe gar nicht, wie Menschen, die doch eigentlich genügend haben und dennoch versuchen, immer mehr an Land zu ziehen, später überhaupt noch in den Spiegel gucken können. Da finde ich es nur gut, dass es Kontrollmechanismen gibt, auch journalistische, wie wir jetzt sehen. Gleichzeitig merken wir aber, wir wollen nicht immer mehr Verrechtlichung, wir wollen nicht immer mehr Kontrollbehörden. Aber wo das Herz des Menschen offensichtlich nicht mehr auf das Gewissen hört, da werden wir versuchen müssen, mit Kontrollen Dämme aufzurichten. Ob es gelingt, wissen wir nicht.

domradio.de: Offenbar haben sich die Betroffenen ja in Sicherheit gewiegt, dass ihre Verschleierungstaktiken nicht ans Licht kommen. Sie haben sich getäuscht. Denken Sie, dass Aufklärung auch automatisch Abschreckung bedeuten wird?  

Bruder Paulus Terwitte: Es ist immer schrecklich, wenn Menschen nur aus Angst anfangen, moralisch zu werden;  denn dann bleiben sie genauso egomanisch wie vorher auch. Mir wäre es lieber, dass sie beginnen einzusehen, dass sie nicht einfach alles tun können, was theoretisch möglich wäre mit ihrer Macht und ihrem Geld. Und dass sie am Ende nur das tun, was sie auch wirklich dürfen. Diese Selbstbeschränkung zu predigen, bleibt Aufgabe aller Religionen, also den Menschen zu sagen: "Ihr habt eine Berufung, allen Menschen zu dienen mit dem, was ihr habt!" Abschreckung dagegen bringt die Moral nicht nach vorne.

domradio.de: Glauben Sie, dass die Affäre um die Panama Papers das Vertrauen der Bürger in "die da oben" weiter erschüttert?

Bruder Paulus Terwitte: Auf jeden Fall! Und das macht mich besonders traurig. Dass wir denen, die ohnehin pessimistisch auf unsere Gesellschaft blicken, die sagen, "alle bereichern sich nur und die da unten, die lässt man immer nur sinken", dass die jetzt wieder einmal Recht bekommen. Ich hoffe einfach, dass es den Aufstand der Anständigen noch gibt, die dann auch tatsächlich noch mal die Dinge beim Namen nennen. Ich kenne das von mir selbst, dass ich auch dort, wo ich Unrecht sehe, drei Mal überlege "Soll ich jetzt schreien? Oder muss ich noch jemanden schützen?" Wir müssen einfach rücksichtsloser moralisch sein - handeln, klare Worte finden, im Falle eines Falles auch Leute anzeigen. Die können sich dann ja verteidigen. Ich glaube immer noch an den Rechtsstaat; aber wir sollten wirklich immer versuchen, Dinge aufzudecken, die schief laufen. Nicht schweigen, sondern reden! Ein österliches Tun.

domradio.de: Die Kirchen können predigen und die Menschen zur Moral anhalten. Können sie noch mehr tun?

Bruder Paulus Terwitte: Ja, denn sie haben viele Mitglieder, die in allen gesellschaftlichen Schichten sitzen. Und da merke ich auch, dass die Katholiken und Protestanten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung viel stärker bewusst werden müssen. Das Christentum ist nicht nur für die heilige Halle, es ist auch was für die Welt. In Personalräten, Betriebsräten, Rechtsanwaltskanzleien, Steuerbüros und Wirtschaftsbüros und politischen Büros brauchen wir Christinnen und Christen, die mit der Kraft des heiligen Geistes aufstehen, wenn sie interne Dinge sehen, die nicht gut sind und dann sagen "Leute – Stopp!" und die dann vielleicht auch mal Kopf und Kragen riskieren. Diese Art von Märtyrertum wird dringender denn je gebraucht für das Heil der Welt. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Sicht auf Panama City / © Alejandro Bolivar (dpa)
Sicht auf Panama City / © Alejandro Bolivar ( dpa )
Quelle:
DR