KNA: Frau Dethloff, die Kirchenasylbewegung schaut auf 30 Jahre zurück, die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft besteht seit 20 Jahren. Wie lautet die Bilanz?
Dethloff: Wir verändern nicht die Welt, aber wir retten ganz konkret Menschenleben. Und wegen der aktuellen Zunahme an Flüchtlingen ist unsere Arbeit heute wichtiger denn je.
KNA: Wie viele Menschen leben derzeit in Deutschland im Kirchenasyl?
Dethloff: Knapp 250 in rund 150 Kirchengemeinden - das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr. In den allermeisten Fällen geht es um Menschen, die nach der Dublin-Vereinbarung ihr Verfahren nicht in Deutschland, sondern in dem Land machen müssen, in dem sie erstmals die Europäische Union betraten. Aber oft wurden diese Menschen nicht nur in ihrer Heimat, sondern beispielsweise in Ungarn oder Italien noch einmal traumatisiert. Sie wollen keinesfalls dorthin zurück, weil sie dort ausgebeutet, schutzlos blieben, nicht beachtet oder vergewaltigt wurden. Viele sind absolut verzweifelt und drohen sogar mit Suizid. Und wenn es tatsächlich zur Selbsttötung kommt, steckt uns das allen in den Knochen. Kirchenasyl ist oft die letzte Möglichkeit, das Leben der Flüchtlinge zu schützen.
KNA: Mit welchem Erfolg?
Dethloff: In weitaus mehr als 80 Prozent der Fälle kommt es zu einem positiven Ende. Das zeigt, dass etwas an dem ganzen Verfahren nicht stimmt. Oft werden Gutachten zur politischen Situation oder Krankheiten eines Menschen nicht berücksichtigt, dann bezweifeln Behörden die Glaubwürdigkeit der Schutzsuchenden oder die Verfahren laufen falsch ab. Aber nicht nur die Gerichte entscheiden überwiegend für uns. Oft sind es auch Innenminister oder Landräte, die mittels Härtefallregelungen die teils jahrelange Odysseen beenden. Es sind sehr schöne Momente, wenn ein Fall am Ende gut ausgeht.
KNA: Ihre BAG ist ökumenisch, aber die Protestanten scheinen stärker engagiert zu sein.
Dethloff: Ja, in mehr als zwei Dritteln der Fälle sind es evangelische Gemeinden, die Kirchenasyl anbieten. Doch auch bei Klöstern und katholischen Pfarreien nimmt aktuell die Bereitschaft zu. Aber die meisten teilen dies oft nicht ihren Bistümern mit.
KNA: Warum?
Dethloff: Oft herrscht der Eindruck vor, die katholische Kirche habe mit Kirchenasyl nichts zu tun. Entsprechend gibt es Ängste. Auch bei den Zuwendungen merkt man deutliche Unterschiede. Während der Rat der Evangelischen Kirche (EKD) uns jährlich mit etwa 10.000 Euro unterstützt neben den Landeskirchen, hat die Deutsche Bischofskonferenz bislang die letzten Jahre nur 500 Euro gegeben. In diesem Jahr waren es erstmals 5.000 Euro. Dabei besteht die große Gefahr, dass wir drastisch ins Minus kommen. Wir müssen ja auch alle Fälle dokumentieren und die Gemeinden beraten, die oft nicht wissen, was Kirchenasyl bedeutet. Aber für beide großen Kirchen gilt: Es wäre schön, wenn unser ökumenisches Engagement stärker wahrgenommen und gewürdigt würde.
KNA: Wie kommen Gemeinden dazu, Kirchenasyl anzubieten?
Dethloff: Es sind meist die konkreten, schwierigen Situationen einzelner Menschen. Und die Christen vor Ort merken, wenn sie sich damit befassen, dass die Dublin-Verordnung der absolute Wahnsinn ist. Da sollen Menschen, die teils schon fast ein Jahr hier sind, wieder abgeschoben werden. Das versteht niemand. Wir helfen und beraten dann, wenn es nötig ist. Oft bestehen Ängste, etwas falsch zu machen. Dann sagen wird: Macht lieber Fehler, aber macht überhaupt etwas. Das Versäumen einer Frist ist nicht die Katastrophe, sondern der Mensch, der sich umbringt. Zahl der Fälle von Kirchenasyl hat sich verdoppelt.
Das Interview führte Michael Jacquemain.