Bundesarbeitsgericht entscheidet über kirchliches Tarifrecht

Streit ums Streikverbot

Mit besonderer Spannung blicken Politik, Kirchen und Gewerkschaften nach Erfurt. Dort entscheidet das Bundesarbeitsgericht über die Zulässigkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen. Kommt es wie erwartet zu einem Grundsatzurteil, sind bundesweit über 1,2 Millionen Arbeitnehmer betroffen.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

Auf der Tagesordnung der Erfurter Richter am Dienstag stehen zwei Verfahren in evangelischen Einrichtungen (1 AZR 179/11 und 1 AZR 611/11). In beiden Fällen hatten sich die Landesarbeitsgerichte Hamm (8 Sa 788/10) und Hamburg (2 Sa 83/10) im vergangenen Jahr gegen ein generelles Streikverbot ausgesprochen. Dagegen erhoben die Träger der Einrichtungen Einspruch. Sie machen das grundgesetzlich geschützte Recht der Kirchen geltend, unter anderem ihr Arbeitsrecht selbstständig zu regeln.



Auf dieser Grundlage haben die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände seit den 1950er Jahren ihren "Dritten Weg" entwickelt. Danach suchen Dienstgeber und Dienstnehmer in paritätisch besetzten Kommissionen nach einem Interessenausgleich. Streik und Aussperrung sind ausgeschlossen.



Sonderweg unter wachsendem Rechtfertigungszwang

Ein "Konfrontationskurs" nach üblichem Tarifrecht widerspräche dem kirchlichen Selbstverständnis einer Dienstgemeinschaft, bringt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, die Kirchenposition auf den Punkt. "Ein kirchlicher Arbeitgeber kann keine Kampfmaßnahme ergreifen, um einem Streik zu begegnen. Denn die Kirche kann weder die Glaubensverkündigung noch den Dienst am Nächsten suspendieren, um Druck auf ihre Mitarbeiter auszuüben."



Doch der kirchliche Sonderweg steht unter wachsendem Rechtfertigungszwang. Ein Grund ist der zunehmende Wettbewerb in der Sozialbranche. Auch Einrichtungen von Caritas und Diakonie reagierten darauf, indem sie vermehrt Leiharbeitnehmer einsetzten und Unternehmensbereiche ausgliederten. In der Regel war dies mit niedrigeren Löhnen bei den betroffenen Mitarbeitern verbunden. Es gab allerdings auch Fälle, in denen Einrichtungen aus dem kirchlichen Tarif ausstiegen, um aus Konkurrenzgründen höhere Löhne zu zahlen.



Richterspruch dürfte nicht das letzte Wort sein

Für Gewerkschaften wie ver.di und Marburger Bund ein Argument, für ein Streikrecht auch in kirchlichen Einrichtungen zu kämpfen. Verdi-Chef Frank Bsirske warf den beiden großen Kirchen beispielsweise am Mittwoch vor, die Grundrechte ihrer Mitarbeiter zu verletzen. Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte auf entsprechende Forderungen im Frühjahr mit der Forderung an betroffene kirchliche Einrichtungen, bis Ende 2013 in die Tarifbindung zurückzukehren oder andernfalls ihre kirchliche Anerkennung zu verlieren. Zugleich verweist sie wie die Evangelische Kirche in Deutschland auf die insgesamt erheblich bessere Vergütung ihrer Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Sozialanbietern.



Führende Arbeitsrechtler erwarten dennoch, dass ein absolutes Streikverbot in Kircheneinrichtungen auf Dauer nicht zu halten ist. Arbeitnehmer müssten auch im "Dritten Weg" Druck ausüben können, wenn der Interessenausgleich dort an seine Grenzen stoße, fordert der Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold. Der ebenfalls in Tübingen lehrende Politologe Hermann Lührs betont, "kollektiv geführte Arbeitskonflikte grauer Art" gebe es bereits seit Jahren, wenn Mitarbeiter von Caritas und Diakonie demonstrierten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.



Auch aus der Politik kommt der Rat an die Kirchen, die Kritik an ihrem Arbeitsrecht aufzugreifen. Sie sollten selbst Änderungen erwägen, so der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Weiß (CDU). Wie auch immer das Bundesarbeitsgericht entscheidet, es dürfte nicht das letzte Wort sein. Kirchen und Gewerkschaften kündigten bereits an, die Fälle je nach Ausgang auch vor das Bundesverfassungsgericht bringen zu wollen. Möglich ist auch, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit befasst.