"Heimliche Chemiewaffenfabrik" war die Schlagzeile, die Ende Januar vier Reporter in Birma hinter Gitter brachte. Die Behörden werfen ihnen unter anderem "Verrat von Staatsgeheimnissen" vor. Darauf steht die Todesstrafe. Und überhaupt, sagte Regierungssprecher Ye Htut, in Birma gebe es keine Chemiewaffen.
Rasanter Modernisierungstrip
Zwar ist Birma seit dem Ende der Militärdiktatur 2011 auf einem rasanten Modernisierungstrip. Aber vielen im Staatsapparat und dem weiterhin mächtigsten Spieler im Land, dem Militär, sind nicht nur forsche Reporter suspekt, sondern alles, was nach Umkrempeln riecht.
Bundespräsident Joachim Gauck ist ab Sonntag in Birma und trifft am Montag in der Hauptstadt Naypyidaw Präsident Thein Sein (68). Er ist einer von vielen einstigen Junta-Generälen, die ihre Uniform an den Nagel gehängt haben und als Zivilisten an den Schaltstellen der Macht sitzen. Nun treibt Thein Sein die Öffnung des Landes wirklich voran. Aber nicht alle haben denselben Reformeifer. Das Militär hat beispielsweise weiter eine Sperrminorität von 25 Prozent der Sitze im Parlament.
An moderne Geisteshaltung erst gewöhnen
Zwar hat die Reformregierung die Pressezensur gelockert, Parteien zugelassen, Frieden mit Rebellenarmeen von Minderheiten geschlossen und die wirtschaftliche Liberalisierung vorangetrieben. Aber: "Nach Jahrzehnten Missmanagement und einer Kultur der Angst müssen sich auch Bürokraten erst an modernere Geisteshaltungen gewöhnen", meint Moe Thuzar vom Institut für Südostasienstudien in Singapur.
Reich an Rohstoffen und Korruption
Birma mit 60 Millionen Einwohnern war die Reiskammer Asiens, ehe die Generäle das Land herunterwirtschafteten. Es ist reich an Rohstoffen: Gas, Holz, Kupfer, Edelsteine. Zahlreiche Hürden hemmen aber Investoren. "Weit verbreitete Korruption, Mangel an Transparenz, begrenzte Rechtswege, strenge, langsame und teure Genehmigungsverfahren", zählt Eliane Coates vom RSIS-Institut der Nanyang-Universität in Singapur auf.
Überwiegend buddhistische Gesellschaft
Zwar sind die 40 Jahre alten Autos - zumeist Rostbeulen - von den Straßen ebenso verschwunden wie die Leute mit alten Schreibmaschinen auf Gehwegen, die mangels Computern im Schatten der Bäume bis vor Kurzem für ein paar Cent noch Dokumente und Anträge tippten. Aber politische Umwälzungen und neue Freiheiten haben eine alarmierende Entwicklung in der überwiegend buddhistischen Gesellschaft entfesselt.
Diskriminierung und Gewalt gegen Muslime
Im Frühjahr 2012 brachen in der Rakhine-Region an der Küste in Richtung Bangladesch Unruhen aus. Nach einer angeblichen Vergewaltigung fielen Buddhisten über viele der 800 000 Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya her. Diese wird seit Jahrzehnten diskriminiert. Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben, 140 000 wurden vertrieben und leben bis heute in Camps. Die ominöse Mönchsbewegung "969" stachelt den Hass mit Kampfpamphleten und Boykottaufrufen an. Es kommt immer häufiger zu Übergriffen auf muslimische Minderheiten.
"Die antimuslimischen Ressentiments sitzen so tief und die Reaktion der Behörden ist so unzureichend, dass weitere Gewalt zu erwarten ist", schreibt die auf Vermittlung in Konflikten spezialisierte Organisation "International Crisis Group".
Hoffnung namens Aung San Suu Kyi
Hoffnungsträgerin vieler Birmanen ist Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi (68). In fast 15 Jahren unter Hausarrest hat sie stets jeden Handel mit der Junta abgelehnt. Sie ist damit zur Freiheitsikone geworden. Sie sitzt heute im Parlament und will 2015 bei den Präsidentenwahlen antreten. Gauck trifft sie am Montag.