Bundestafeltreffen 2015 in Augsburg

Der Armut ein Gesicht geben

Das tägliche Brot einkaufen können sich viele nicht mehr leisten. Sie essen, was in den Regalen liegenbleibt. In Augsburg erörterte die deutsche Tafelbewegung, wie sie mit der zunehmenden Armut umgehen soll.

Autor/in:
Bernd Buchner
60.000 Freiwillige unterstützen die Tafelbewegung bundesweit (dpa)
60.000 Freiwillige unterstützen die Tafelbewegung bundesweit / ( dpa )

"Können wir schon brauchen", sagt Peter Gutjahr und dirigiert zwei Männer, die ihm eine Steige haltbare Milch auf die Rampe gestellt haben. Der 69-Jährige ist zweiter Vorstand der Augsburger Tafel, die ihren Hauptsitz im Stadtteil Oberhausen hat. Als Verantwortlicher für Logistik und Fuhrpark weiß er über jede eingehende Banane Bescheid. Und darüber, welches Fahrzeug wo wann sein muss, um die sechs Ausgabestellen in der Fuggerstadt zu versorgen.

Gutjahr ist einer von rund 60.000 Freiwilligen in der deutschen Tafelbewegung. Bundesweit gibt es inzwischen mehr als 3.000 Ausgabestellen. Die Organisation versorgt über eine Million Menschen mit Lebensmitteln, ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. In Augsburg fand in dieser Woche das Bundestafeltreffen statt - erstmals kamen die Delegierten zu ihrer Jahrestagung ins vermeintlich wohlhabende Bayern.

5.000 Bedürftige kommen - bei weitem nicht alle

In der Geburtsstadt Bert Brechts helfen mehr als 200 Ehrenamtliche bei der Beschaffung und Verteilung der Lebensmittel. Die Zentrale liegt im Augsburger Industriegebiet. Vom Supermarkt um die Ecke kommen die wenigsten Waren - eher direkt von den Produzenten. "Die Firmen stellen uns das palettenweise zur Verfügung", sagt Rentner Gutjahr und deutet auf Kisten mit Kartoffelpüree, haltbar bis Juli. Vielen Läden ist das zu knapp, die Ware wird vom Produzenten abgeschrieben.

"Wir versorgen gegenwärtig fast 5.000 Leute", berichtet Gutjahr. Tendenz steigend. Wer Lebensmittel möchte, muss sich anmelden und bekommt einen Ausweis. Ein Besuch kostet einen Euro, Kinder zahlen nichts. "Berechtigt ist jeder, der Hartz IV bekommt oder nur eine kleine Rente hat", sagt der Logistikchef. Aber es kommen bei weitem nicht alle. Gutjahr kennt die Scham der alten Augsburger: "Die hungern lieber einen Tag, als dass sie zu uns kommen."

Tafel als barmherziger Samariter

"Tafeln geben der Armut ein Gesicht", sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes, Jochen Brühl, der mit großer Mehrheit im Amt bestätigt wurde. Die Gesellschaft müsse sich mit dieser Realität auseinandersetzen. Der 49-jährige Ludwigshafener stellt politische Forderungen: gerechtere Steuern und Bildungschancen, armutsfeste Renten, einen nationalen Armutsbeauftragten. Zum Abschluss des bundesweiten Treffens der Lebensmitteltafeln kündigte er eine weitere Professionalisierung der Bewegung an. Die 60.000 Helfer seien das höchste Gut der Tafeln, sagte Brühl am Wochenende in Augsburg. In die ehrenamtlichen Mitarbeiter der 923 gemeinnützigen Tafelinitiativen müsse investiert werden.

Die Tafeln können nach eigenen Angaben vielerorts mit der steigenden Nachfrage kaum mithalten. Es fehle an Lebensmittelspenden und Mitarbeitern. In Augsburg diskutierten rund 700 Delegierte über die Zunahme von Flüchtlingen an den Ausgabeständen, Lebensmittelgesetze in Europa, über Schritte zur Verringerung sozialer Ungleichheit und die Entwicklung der Tafeln in Deutschland. Das 21. Bundestafeltreffen endete mit einem kostenfreien Mittagessen für 1.000 Menschen im Stadtzentrum.

Bereits vor dem Treffen hatte Brühl auf die schwierige Lage der Tafeln durch die steigenden Flüchtlingszahlen aufmerksam gemacht. Die Flüchtlingsbetreuung bei den Tafeln dürfe nicht dazu führen, "dass die Politik ihre Hände in den Schoß legt", mahnte der Bundesvorsitzende.


Quelle:
KNA