Bundestag bei Organspende weithin einig

Nur ja kein Druck

Für Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, gibt es neue Hoffnung. Bürger in Deutschland sollen künftig gezielter vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie zu einer Organspende bereit sind oder nicht. Nach Monate langem Ringen hat sich der Bundestag heute in Erster Lesung mit einer Reform der Organspende befasst. Die katholischen Bischöfe werten eine Organspende als "Akt der Nächstenliebe". Sie lehnen aber zugleich jeden Zwang ab.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Debatten über ethische Fragen sind im Bundestag oft sehr kontrovers. Ob bei Abtreibung, Embryonenforschung oder Präimplantationsdiagnostik: In solchen, mit tiefen persönlichen Überzeugungen verbundenen Fragen haben sich die Abgeordneten schon heftige Auseinandersetzungen geliefert.



Fraktionsübergreifend werben Politiker für mehr Organspenden

Ganz anders am Donnerstag bei der Ersten Lesung zum Thema Organspende: Mit großer Einhelligkeit warben alle Fraktionen für mehr Organspenden. Sie appellierten an die Bürger, sich stärker mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich als mögliche Spender zur Verfügung zu stellen. Und sie betonten zugleich die strikte Freiwilligkeit. Niemand dürfe gezwungen werden.



Bisweilen herrschte in der Debatte ein pastoraler Ton, wurden private Erlebnisse aufgerufen: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin - "Wir alle sind sterblich" - berichtete vom Tod seiner Lebensgefährtin bei einem Fahrradunfall, um darzulegen, wie entlastend es im Ernstfall für Angehörige sein kann, wenn die Bürger ihr Ja oder Nein zu einer Organspende vorab klar dokumentieren. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der 2010 mit der Nierenspende an seine Frau selbst das Thema Organspende wieder in die Öffentlichkeit gebracht hatte, erinnerte an Claudia Kotter, Initiatorin der Organspende-Kampagne "Junge Helden": Bis kurz vor ihrem Tod im Juni 2011 hatte sich die an einer Autoimmunkrankheit leidende 30-Jährige für Organspenden engagiert, mit Politikern im Bundestag diskutiert, ausgefallene Partys organisiert. Auch ihr sei es zu verdanken, so Steinmeier, dass der Bundestag jetzt das sperrige Thema Organspende neu regele.



Bischöfe: Jeder Zwang löst Angst aus

Sowohl wenn es um die Bereitschaft zur Spende geht, als auch bei der Frage, ob Bürger sich zur Organspende äußern müssen, lehnt die Deutsche Bischofskonferenz jeden Zwang ab. Gewissensentscheidungen müssten respektiert werden. Im Vordergrund müsse der "Respekt vor der Selbstbestimmung der Person" stehen, so formulierte es der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki.



Mehrfach hat die Deutsche Bischofskonferenz für mehr Organspenden geworben. Voraussetzung müsse aber eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders oder seiner Angehörigen sein, fordert etwa der Vorsitzende der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz, Gebhard Fürst. Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof lehnt auch eine Pflicht der Bürger ab, sich zur Organspende zu äußern. Jeder Zwang löse Ängste aus.



Neue Debatte über Hirntod-Konzept gefordert

Wichtig ist den Bischöfen ein "Höchstmaß an Offenheit" hinsichtlich der Frage des Todeszeitpunkts eines Menschen. Die Feststellung des Hirntods ist Voraussetzung für eine Organentnahme. Gegner des Hirntod-Konzepts gehen davon, dass das menschliche Empfindungsvermögen mit dem Hirntod noch nicht erloschen ist. Auch der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, Mitglied im Deutschen Ethikrat, fordert eine neue Debatte über diese Frage. Das Thema sei für ihn "einer der großen Angstgeneratoren" bei der Organspende.

Bislang sieht die Bischofskonferenz aber keine Alternative zum Hirntod-Konzept.



Losinger fordert auch bessere organisatorische Bedingungen für Krankenhäuser, die sich in der Transplantationsmedizin engagieren. Gründe für eine reservierte Haltung vieler Kliniken sind seiner Ansicht nach eine mangelhafte Kostenerstattung, Arbeitsüberlastung, mangelnde Ausbildung und Scheu, mit den Angehörigen über eine Organspende sprechen zu müssen. Der Augsburger Weihbischof sprach sich deshalb für die Einsetzung von Transplantationsbeauftragten in den Kliniken aus.



Verabschiedung bis zur Sommerpause möglich

Die Reform des Transplantationsgesetzes könnte bis zum Sommer verabschiedet werden. Neu geregelt wird ein ganzes Bündel von Maßnahmen: Im Mittelpunkt stand ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von Union, FDP, SPD, Grünen und Linken für eine "Entscheidungslösung". Künftig soll jeder Bürger alle zwei Jahre von den Krankenkassen zu seiner Spendebereitschaft befragt werden. Die Antwort soll etwa auf einem Spenderausweis oder der Gesundheitskarte festgehalten werden.



Darüber hinaus will das Parlament Kliniken mit Intensivstation verpflichten, einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen und die Abläufe bei der Transplantation zu verbessern. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verwies darauf, dass es bislang - selbst in der gleichen Stadt - riesige Unterschiede zwischen Krankenhäusern gebe. Außerdem werden in dem Gesetzentwurf EU-weite einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards festgelegt. Zudem will die Bundesregierung auch dafür sorgen, dass die versicherungs-technische und rechtliche Situation von Lebendspendern verbessert wird.



In der Debatte meldeten sich alle Fraktionsvorsitzenden zu Wort - schon an sich ein Signal, dass das Parlament dem Thema hohen Wert beimisst. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle betonten, am Thema Organspende werde deutlich, dass der Bundestag abseits des politischen Wettbewerbs zu Einigkeit in ethischen Fragen fähig sei.



"Die Organspende soll eine Spende bleiben"

Nahezu alle Redner betonten, dass das Parlament eine "freiheitliche Regelung" anstrebe: Zwar habe der Staat das Recht, den Bürger mit dem unangenehmen Thema des Todes und der Organspende zu konfrontieren. Er dürfe aber keine Äußerung und erst recht keine Organspende erzwingen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und sein Amtskollege Steinmeier betonten, es handele sich schlicht um eine Frage der Mitmenschlichkeit. "Die Organspende soll eine Spende bleiben", so Steinmeier. Deshalb seien auch Vergünstigungen für potenzielle Spender abzulehnen.



Dass bei aller Einhelligkeit im Hintergrund heftig gerungen wurde, zeigt die Diskussion über die geplante Eintragung in die elektronische Gesundheitskarte. Mehrere Redner äußerten die Sorge, dass solche Daten auf der Karte nicht sicher seien. Auch weiterhin müssten Bürger deshalb die Möglichkeit haben, sich ausdrücklich gegen einen Eintrag in der Gesundheitskarte zu entscheiden, betonten Trittin und Linken-Fraktionschef Gregor Gysi.