Bundestag debattiert leidenschaftlich über das Betreuungsgeld

"Der Staat als Super Nanny"?

Das umstrittene Betreuungsgeld hat seine parlamentarische Premiere geschafft: Der Bundestag beriet in erster Lesung den Gesetzentwurf der schwarz-gelben Koalition. Hinter aller Polemik ging es um Grundfragen nach dem Verständnis von Familie, dem Kindeswohl, der Gleichstellung und der Frage, wie weit der Staat in diese Bereiche der Lebensgestaltung steuernd eingreifen darf.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Nach dem gescheiterten ersten Anlauf war eine leidenschaftliche Debatte um das Betreuungsgeld bei der Ersten Lesung im Bundestag zu erwarten. Die Leistung für Eltern, die zur Betreuung ihrer Kleinkinder keine öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, steht längst symbolisch für konträre Gesellschafts- und Lebensentwürfe. Denn mit den in Aussicht gestellten 100 beziehungsweise 150 Euro im Monat werden Eltern kaum die Windeln ihrer Ein- und Zweijährigen bezahlen können.



Nicht wenige Abgeordnete beklagten am Donnerstag eine ideologisch vergiftete Debatte - und viele gossen gleich weiter Öl ins Feuer. Gleichwohl ging es durchaus um die Sache.



Regierungskoalition beruft sich auf Wahlfreiheit der Eltern

Die Regierungskoalition berief sich vor allem auf die Wahlfreiheit der Eltern. Das Grundgesetz verpflichte dazu, die "Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form" zu fördern, so Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU), warnte von einem "Staat als Super Nanny". Gerade aus Gründen der Wahlfreiheit hätten Union und SPD 2009 das Dreisäulenmodell von Krippenausbau, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Betreuungsgeld beschlossen, betonte sie.



Allerdings stimmten die SPD und Teile der CDU dem Kompromiss schon damals nur zähneknirschend zu. Denn CSU-Chef Edmund Stoiber hatte das Betreuungsgeld der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) abgerungen, als Ausgleich für den Wandel der traditionellen Familienpolitik der Union. Die Ministerin hatte zunächst das Elterngeld zulasten bestehender familienpolitischer Leistungen eingeführt und ergänzend den Kitaausbau forciert. Ihr Ziel: eine kürzere, stärker bezuschusse Elternphase, auch um Müttern eine bessere Vereinbarung von Familie und Karriere zu ermöglichen.



Auswirkungen auf die Jobrückkehr von Frauen umstritten

Diese gleichstellungspolitische Ausrichtung sieht die Opposition nun konterkariert. Das Betreuungsgeld könne Frauen von der raschen Rückkehr in den Beruf abhalten. Allerdings ist auch dies für die Union eine Entscheidung, die nicht der Staat zu treffen hat, sondern die Frauen selbst. Er sollte nur die Rahmenbedingungen dafür bereitstellen. Schröder wies auch Forderungen der Wirtschaft zurück, der an der raschen Rückkehr junger Fachkräfte gelegen ist. Über die Familiengestaltung hätten die Eltern und nicht die Wirtschaftsverbände zu entscheiden.



Auch beim Vorwurf, das Betreuungsgeld biete Fehlanreize in der Bildung, kam es zum erwarteten Schlagabtausch. SPD, Grüne und Linke warnten vor Bildungsdefiziten bei Kleinkindern aus problematischen Verhältnissen oder Migrantenfamilien. Dass dies für eine Minderheit gelten könne, räumte auch der CDU-Abgeordnete Markus Grübel ein. Er gab aber zu bedenken, dass doch offenbar aus den meisten Menschen in Westdeutschland bislang auch ohne Kitabesuch etwas geworden sei.



Weniger wusste die Union auf Kritik an der sozialpolitischen Ausrichtung des Betreuungsgelds zu entgegnen. Aus Kostengründen wurde der Bezug immer mehr eingeschränkt. Nun soll er mit dem Arbeitslosengeld II, der Sozialhilfe und dem Kinderzuschlag verrechnet werden. Auch die Sozialverbände und die Kirchen sehen hier eine Schieflage.



Eigentlich wollte die Regierung die Regelung vor der Sommerpause rasch durchwinken. Nun wird die Debatte möglicherweise ein Sommerlochfüller. Allerdings bietet sich so auch die Möglichkeit, noch nachzubessern, wie es der Koalitionspartner FPD und auch Teile der CDU verlangen.



Kirchen uneins

Die Kirchen haben sich unterschiedlich zum positioniert. Die evangelische Kirche lehnt die Leistung ab. Die katholischen Bischöfe sowie einige katholische Verbände sind für die Zahlung, mahnen aber eine soziale Ausgeglichenheit an. Der Deutsche Caritasverband sieht die Koppelung der Leistung an die Nicht-Nutzung eines Kita-Platzes kritisch. Er fordert zusammen mit dem Familienbund der Katholiken eine Verlängerung des Elterngeldes.



"Für viele Kinder ist der Besuch einer Kita sinnvoll", meint Caritas-Präsident Neher. Sie kämen mit anderen Kindern zusammen und lernten voneinander. Wenn eine Familie allerdings nur über geringe finanzielle Möglichkeiten verfüge, könnten 100 oder 150 Euro sehr wohl den Ausschlag geben, sich gegen einen Kita-Platz zu entscheiden, gab Neher zu bedenken. Dies müsse nicht zwingend zum Nachteil der Kinder sein, doch bestehe die Gefahr, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten besonders betroffen sind. "Dann würden genau die Kinder nicht erreicht, für die der Besuch einer Kita besonders hilfreich wäre." Dies könne nicht das Ziel sein, so der Caritas-Präsident.



Kölner Erzbischof spricht sich für Betreuungsgeld aus

Der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, hatte in der Vergangenheit den politischen Widerstand gegen das Betreuungsgeld kritisiert. Kinder sollten "wenigstens in den ersten drei Jahren" in der Familie und bei der Mutter "wirklich ein Zuhause finden", sagte der Erzbischof. Die Familie sei für das Kind in den ersten drei Jahren ein wichtiger Raum zur Entfaltung. Werde ihm dieser vorenthalten, gehe dies zu Lasten des neuen Menschen und seiner späteren Lebensmöglichkeiten.



Kinderkrippen können und dürfen nach Worten Meisners kein Ersatz für Familie sein, sondern nur eine "notwendige, oft bitter notwendige Ergänzung". Der Erzbischof rief dazu auf sicherzustellen, dass die Kinder die katholischen Kitas als Ort erfahren, in denen Gott die Mitte sei. In ihnen sollten Mädchen und Jungen die Welt als Schöpfung kennenlernen, die Gott dem Menschen zur Verantwortung übergeben habe.