Hartz-IV-Empfänger müssen ab sofort keine drastische Kürzung oder vollständige Streichung ihrer Leistungen mehr befürchten. Monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Nach dem am 5. November 2019 verkündeten Urteil dürfen die Jobcenter die monatlichen Leistungen zwar weiter um 30 Prozent kürzen, wenn Arbeitslose ihren Pflichten nicht nachkommen. Auch diese Sanktionen müssen aber abgemildert werden. Der Mensch dürfe nicht auf das schiere physische Überleben reduziert werden. (Az. 1 BvL 7/16)
Nach dem Prinzip «Fördern und Fordern» disziplinieren die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehen. Wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine Fördermaßnahme ablehnt, läuft Gefahr, dass ihm 30 Prozent des sogenannten Regelsatzes gestrichen werden. Wer innerhalb eines Jahres mehrfach negativ auffällt, verliert bisher 60 Prozent oder sogar das gesamte Arbeitslosengeld II, auch die Kosten für Unterkunft und Heizung. Einmal verhängt, gilt eine Sanktion immer drei Monate.
Die Vorschriften müssen nun überarbeitet werden. Für die Übergangsphase regelt das Verfassungsgericht die Praxis selbst. Minderungen um 60 oder 100 Prozent dürfen demnach ab sofort nicht mehr verhängt werden. 30-Prozent-Sanktionen bleiben zwar möglich. Die Jobcenter können in Zukunft aber je nach Einzelfall darauf verzichten.
Für Bezieher unter 25 Jahren gelten noch strengere Regeln und eine schnellere Streichung jeder Unterstützung, die aber nicht von den Verfassungsrichtern überprüft wuden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit und den Bundesländern an. Einige Änderungen seien unmittelbar notwendig, sagte er in Karlsruhe. Auch im Hinblick auf die Sanktionen für Unter-25-Jährige werde das Urteil ausgewertet werden. Er gehe davon aus, dass es bei den Unter-25-Jährigen Auswirkungen geben werde.
(Quelle: dpa, 05.11.2019)