Caritas fordert: Soziale Themen in den Fokus

"Altersarmut wird ein ganz großes Problem sein"

Die Koalitionsverhandlungen gehen weiter und weiter. Caritas-Präsident Peter Neher mahnt die Politiker, Themen wie Altersarmut und andere soziale Themen nicht weiter aufzuschieben. Ein domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Herr Neher, Menschen, die einen Großteil ihres Lebens gearbeitet haben, die müssen im Alter eine Rente haben, die über der Grundsicherung liegt. Unter anderem das fordert die Caritas. Wie soll Ihrer Meinung nach denn so eine Grundsicherung aussehen?

Neher: Was im Moment wohl auf dem Tisch der Verhandlungen ist, ist die sogenannte solidarische Lebensleistungsrente, die dann allerdings an Voraussetzungen gebunden ist -  40 Beitragsjahre und zusätzlich eine private Altersvorsorge. Und wir halten die Hürden einfach für zu hoch. Es geht völlig an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei. Deswegen müssten die Voraussetzungen abgesenkt werden, also statt 40 Jahre eben weniger oder auch nicht die Forderung nach einer betrieblichen oder privaten Altersvorsorge. Denn wer jetzt 40 Jahre oder älter ist, der hat ja gar keine Chance mehr, eine solche Zusatzrente abzuschließen. Also schlicht und einfach hier die Anforderungen absenken und dann, denke ich, könnte es ein richtiger Weg sein.

domradio.de: Wenn sich jetzt nicht rechtzeitig was tut, würden Sie dann sagen, die Altersarmut ist eines der ganz, ganz großen gesellschaftlichen Probleme, die wir hier in Deutschland haben werden?  

Neher: Das ist ganz sicher so. Ich geh sogar noch einen Schritt weiter und sag, die wird vor allem weiblich sein. Denn gerade Frauen sind es, die ja in Phasen der Kindererziehung oder der Pflege naher Angehöriger oft aus dem Beruf ausgeschieden sind. Und für die ist deswegen auch das Risiko der Altersarmut besonders hoch. Deswegen  fordern wir ja auch, dass Kindererziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, eben genauso anerkannt werden wie jene, die ihre Kinder nach 92 bekommen haben. Oder auch die Anerkennung von Pflegezeiten in der Rente. Aber ganz grundsätzlich geht es einfach auch drum, in Bildung zu investieren, um Altersarmut an der Wurzel zu bekämpfen. Stichwort ist auch "Lebenslanges Leben", auch Langzeitarbeitslose, dass die wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Ich glaub, es ist sehr konkret, im Blick gerade auf Altersarmut bei Frauen, und dann aber auch sehr grundsätzlich, was hier getan werden muss, um an der Wurzel das Thema Altersarmut zu bekämpfen.

domradio.de: Altersarmut also als ganz großes Problem. Ein anderes, auch immer dringender werdendes Problem ist die Neuregelung der Pflege. Sie fordern, dass da ganz dringend bei den Koalitionsverhandlungen das Thema auf den Tisch gehört. Was wollen Sie, was muss da in erster Linie verbessert werden oder sollte so bald wie möglich abgeschlossen werden?  

Neher: Gut, es liegt ja bereits seit 2009 ein Vorschlag auf dem Tisch, von einem Experten-Beirat, Stichwort ist "Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff", der einfach die Belange von demenzkranken Menschen und auch alterspsychatrisch erkrankten Menschen, anders berücksichtigt. Und tatsächlich auch deren Bedarfe nochmal deutlich in den Fokus rückt. Wir können ja nicht nochmal eine Legislaturperiode lang warten bis dieses Thema aufgegriffen wird. Und jeder weiß, der mit pflegebedürftigen Menschen zu tun hat, wie ungenügend das Thema ist, Zeitmangel, unzureichende Personalschlüssel, Minutenpflege. Das ist der Hintergrund, warum der Begriff der Pflegebedürftigkeit dringend überarbeitet gehört und dass dann auch das System der Pflegeversicherung entsprechend umzustellen ist. Also, wie gesagt, die Vorschläge der Experten liegen lange auf dem Tisch, und eine Koalition, die künftig hier Regierungsverantwortung hat, darf dieses Thema nicht vor sich herschieben, die muss es dringend bearbeiten.

domradio.de: Die Koalitionsverhandlungen laufen jetzt schon eine ganze Weile, dass es ständig knirscht, kriegen wir sowieso mit. Gibt es denn auch was Positives? Gibt es etwas, das Sie ausdrücklich begrüßen würden?

Neher: Ich kann leider im Moment nichts erkennen, was mich da zuversichtlich stimmt. Vielleicht ist auch die einzige Form der Entschuldigung, dass hier zwei Partner miteinander eine Koalition bilden sollen, die sich ja im Wahlkampf deutlich voneinander abgegrenzt, um nicht zu sagen: bekämpft  haben. Das Ergebnis dieser Geschichte haben wir jetzt und ich kann nur hoffen, im Interesse der Menschen, die auf eine gute Politik angewiesen sind, dass Animositäten endlich überwunden werden und miteinander effektiv nach Lösungen gesucht wird - und nicht gegenseitige Abgrenzungen und Überlegungen, wie es 2017 weitergehen könnte.


Quelle:
DR