DOMRADIO.DE: Kann man das so sagen: Die Syrien-Konferenz ist etwas ernüchternd zu Ende gegangen?
Oliver Müller (Leiter von Caritas international, dem Katastrophenhilfswerk des Deutschen Caritasverbandes): Nein, das würde ich so nicht sagen. Es ist nicht die Summe an Geld zusammengekommen, die man sich erhofft hat. Gefragt waren knapp fünf Milliarden Euro, jetzt sind es 3,5 geworden, wobei die USA noch gar nicht im Spiel waren. Also, ich habe da gute Hoffnung, dass da noch einiges zusammenkommt. Aber diese Geberkonferenz spiegelt natürlich wieder, wie schwierig momentan die Situation in Syrien ist und wie schwierig es auch ist, die internationale Gemeinschaft zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bekommen. So gesehen, hat es mich nicht besonders negativ überrascht. Man muss auch sehen, dass einige Staaten auch vieles tun. Deutschland allen voran mit rund einer Milliarde Euro – das ist keine kleine Summe.
DOMRADIO.DE: Woran liegt das denn, dass verschiedene Staaten mehr oder weniger geben?
Müller: Das hängt natürlich mit den Möglichkeiten der einzelnen Länder zusammen, aber auch damit, wie man sich hier politisch engagieren will. Das ist jetzt weniger eine klassische Frage des Spendens, sondern auch des politischen Verhaltens. Welche Perspektiven sieht man für die Entwicklung in Syrien und inwiefern engagiert man sich auch humanitär – das ist oft unterschiedlich ausgeprägt und hängt oft mit der wirtschaftlichen Kraft der Länder zusammen, aber schon auch mit dem Willen der Regierungen, Menschen in Not beizustehen. Und das könnte in einigen Ländern durchaus noch ausgeprägter sein.
DOMRADIO.DE: Aus den Medien bekommt man hier meist nur die Eskalationen in Syrien mit. Aber was sagen die Menschen vor Ort?
Müller: Im vergangenen Monat habe ich selbst Homs und Aleppo besucht. Die Menschen wünschen sich zunächst einmal Frieden – das ist die Grundlage von allem. In einigen Teilen gibt es auch schon weniger Kämpfe als in der Vergangenheit. Die Zerstörungen sind immens und man kann sich kaum vorstellen, wann da wieder ein Wiederaufbau stattfindet. Aber es gibt auch zahlreiche weitere Schwierigkeiten. Die Menschen wünschen sich Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen – in Schulen gibt es derzeit Klassen mit bis zu 80 Kindern – und ein weiteres Hauptproblem sind Arbeitsmöglichkeiten. Was mir in Aleppo immer wieder aufgefallen ist: In den Straßenzügen, wo wenig oder keine Zerstörung vorhanden ist, sind die Rollläden heruntergelassen, weil die Menschen, die da zwar noch wohnen könnten, weggegangen sind, weil es für sie keine Perspektive gibt.
Auch an medizinischen Spezialisten fehlt es. Wer eine komplizierte Krebserkrankung hat, wird in weiten Teilen Syriens keine wirkliche Behandlung finden. Und das sind Gründe, warum Menschen weiterhin Schwierigkeiten haben, dort zu bleiben. Deswegen ist es wichtig, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen.
DOMRADIO.DE: Aber wie können diese Perspektive geschaffen werden?
Müller: Es fängt mit den einfachen Dingen an. Wir haben als Caritas in Aleppo und Homs ein Programm, das übersetzt "Miete und Wiederaufbau" heißt. Dadurch können Menschen durch Baumaterial in die Lage versetzt werden, ihre Häuser wieder wohnfest zu machen. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Verfügbarkeit von Medikamenten. Wenn es Stabilität gibt, kehren die Leute auch zurück und bleiben.
Das Interview führte Silvia Ochlast.