domradio.de: Die Caritas in Österreich lehnt Obergrenzen für Flüchtlinge klar ab, warum?
Bernd Wachter (Generalsekretär Caritas Österreich): Aus der Sicht von Caritas Österreich sind Obergrenzen ein Placebo. Mit dieser Meinung gehen wir mit den anderen europäischen Caritasverbänden auch konform. Hier wird die Bevölkerung nicht ehrlich über die Situation informiert. Im Hinblick auf die Genfer Flüchtlingskonvention und auch europarechtlich denken wir an die Aussagen des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes, dass Obergrenzen menschenrechtlich nicht möglich sind. Ich denke, hier gilt es, der Bevölkerung auch reinen Wein einzuschenken.
domradio.de: "Wir schaffen das einfach nicht mehr, so viele Menschen aufzunehmen". Das ist die Begründung der verantwortlichen Politiker. Was entgegnen Sie dem?
Bernd Wachter: Das ist schon eine berechtigte Diskussion. Wir sind als Caritas Österreich schon ganz stark in der Unterbringungsfrage von Flüchtlingen tätig. Wir betreuen 8.500 Menschen in der sogenannten Grundversorgung und über 30.000 Menschen mobil. Natürlich ist das eine Herausforderung, aber ganz realistisch gesehen hat Österreich im vergangenen Jahr etwa 90.000 Flüchtlinge aufgenommen. Wir haben auf der anderen Seite etwa 80.000 Millionäre in unserem Land. Hier ist noch etwas Luft nach oben. Ich möchte nicht sagen, dass es nicht irgendwo auch Grenzen gibt, aber ich war vor kurzem im Libanon und da ist jeder vierte Mensch Flüchtling. Dort ist die faktische Grenze erreicht. In einem reichen Land wie dem unseren, geht es vor allem um die Hilfe und darum, das Mögliche in einem politischen Diskurs machbar zu machen. Wir haben einiges erreicht und es ist noch so manches möglich. Ich würde noch nicht sagen, dass wir an der Grenze angelangt sind.
domradio.de: "Wer Obergrenze sagt, der muss auch Tränengas sagen", so titelt heute die "Zeit". Sehen Sie das auch so? Bedeutet es, Obergrenzen durchzusetzen, geht auch mit Gewalt gegen Flüchtlinge einher?
Bernd Wachter: Letztendlich bringt die Diskussion um Obergrenzen in Österreich dramatische Fragestellungen mit sich. Hier werden sogenannte Wartezonen diskutiert. Das wären beispielsweise an der slowenischen Grenze Zonen, in denen die Flüchtlinge aufgehalten werden. Das wäre dann eine Art Elendszone. Natürlich wäre davon auszugehen, dass die Menschen dort nicht bleiben und es zu einem ungeregelten Weitergang kommt. All das sind Dinge, die man berücksichtigen muss. Aus eigener Erfahrung dieser Grenzbilder geht es hier um Mütter, Kinder, Familien und die vielbeschriebenen jungen Menschen, die kommen. Aber hier Gewalt anzuwenden, wäre ein unverhältnismäßiges Instrumentarium.
domradio.de: Wenn also Obergrenzen für Sie kein gangbarer Weg sind, was ist die Alternative? Was schlagen Sie stattdessen vor?
Bernd Wachter: Kurzfristige Lösungen sind immer schwierig zu benennen, aber es geht ganz klar um die Hilfe vor Ort. Ich denke, das World Food Programm wurde in den letzten zwei Jahren drastisch gekürzt. Das muss sofort - und das kann man kurzfristig machen - umgedreht werden. Und auch eine zweite Maßnahme kann man relativ rasch in Bewegung bringen: Dabei geht es um einen EU-weiten Vorgang, alle 28 Staaten zu verpflichten. Es ist klar, dass nicht nur drei EU-Staaten - nämlich Schweden, Deutschland und Österreich - das Wesentliche tragen. Es geht auch um eine gemeinsame Grenzsicherung, es geht um Hot-Spots und es geht um einen europäischen Aufteilungsschlüssel. Denken wir an die Situation mit den Banken zurück. Da war die Europäische Union doch recht schnell in der Lage, die Dinge in Bewegung zu bringen. Man fragt sich schon, warum das beim Flüchtlingsthema dermaßen lange dauert, und hier droht auch die Europäische Union zu scheitern. Dieses Handeln halte ich für keinen wirklich klugen Vorgang.
domradio.de: Eine europäische Lösung, die will auch die deutsche Kanzlerin durchsetzen, aber bisher ziemlich erfolglos. Was kann passieren, damit endlich Bewegung in die Sache kommt?
Bernd Wachter: Ich bin kein Politiker. Ich kann es nur von der praktischen Seite einer Hilfsorganisation sagen: Wir haben beispielsweise die Transitsituation in Österreich mit den Behörden und der Polizei ganz gut gemanagt. Aber im großen Kontext ist es eine europäische Frage und um die kommt man nicht herum. Darum können sich auch verschiedene Staaten Europas nicht drücken. Ich bin an dieser Stelle ganz der Meinung der deutschen Kanzlerin: Es kann nur eine europäische Lösung geben. Alle nationalen Lösungen vom Grenzzaun hier oder vom Grenzzaun dort werden nicht funktionieren. Die Menschen werden über die Zäune klettern, um die Zäune herumgehen. Das Ganze führt zu einem ungeregelten Durchmarsch durch Europa und das wollen wir nicht. Für mich kann es nur eine gemeinsame Lösung geben und die mit aller Kraftanstrengung.
Das Interview führte Hilde Regeniter.