DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie zu dem sozialen Pflichtjahr? Sollte das weiter freiwillig bleiben?
Lydia Ossmann (Referentin Engagementförderung beim
Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V.): Als Caritas sind wir auch mit Träger von Freiwilligendiensten. Da gibt es eine klare Haltung gegen einen Pflichtdienst. Persönlich teile ich das auch. Ich bin nicht für die Pflicht, weil ich glaube, sie hilft uns nicht unbedingt weiter. Aber die dahinter liegende Frage ist richtig: Wie gewinnt man mehr Menschen für ein gesellschaftliches Engagement?
DOMRADIO.DE: Um diese Frage geht es auch am Donnerstag bei ihrem Fachtag. Wie bekommt man Menschen dazu, sich gemeinwohlorientiert zu engagieren?
Ossmann: Ja, damit beschäftigen wir uns in der Tat sehr viel. Wir wissen aus der Forschung, dass sich viele Menschen engagieren wollen. Ein Motiv ist immer, dass sie was Gutes für die Gesellschaft tun wollen. Dass sie Freude am Engagement haben und an diesen Motivationen anzusetzen, ist wichtig, glaube ich.
DOMRADIO.DE: Es gibt nicht viel Geld. Entweder bekommt man gar keins, bei den freiwilligen Diensten ist es ein bisschen. Warum lohnt es sich trotzdem, sich zu engagieren?
Ossmann: Weil es auch ein persönlicher Gewinn ist. Wenn Sie sich engagieren, das sagen auch Engagierte, können Sie sich selbst mit Ihren Fähigkeiten einbringen. Sie können was mitgestalten. Sie können Dinge ausleben, die Sie vielleicht in Ihrem beruflichen Tun nicht machen können. Es ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
DOMRADIO.DE: Und dass die Menschen zu wenig Zeit hätten, würden Sie so nicht unterschreiben?
Ossmann: Das ist sicher unterschiedlich. Es gibt bestimmte Altersphasen, wo es eng ist. Wenn ich einen Beruf habe und eine Familie organisieren muss, ist wahrscheinlich wenig Zeit da. Aber es gibt andere Lebensphasen, wo mehr Zeit übrig ist für ein Engagement.
DOMRADIO.DE: Ich habe manchmal das Gefühl, Menschen wollen angesprochen werden. Wie ist so Ihre Herangehensweise? Wie kann man noch mehr Menschen motivieren?
Ossmann: Auch da gibt es nicht den einen Königsweg, sondern wir müssen ganz verschiedene Kanäle wählen. Die persönliche Ansprache funktioniert immer noch gut. Aber auch andere Kanäle, wie Social Media, Werbung klassischer Art mit Plakaten. Am besten sollten alle Kanäle genutzt werden, möglichst vielfältig.
DOMRADIO.DE: Ich musste noch durch den Zivildienst, dann ist er irgendwann weggefallen und hat den Fachkräftemangel, vor allen Dingen in der Pflege, noch offenbarer werden lassen. Ein sozialer Dienst wird oft als Idee angeführt, diese Lücke zu stopfen. Aber das sollte es nicht sein, oder?
Ossmann: Ja, das wird in der Caritas sehr kontrovers diskutiert. Es gibt einige, die sehen das so. Ich glaube nicht, dass es unbedingt hilft, denn es gibt auch die Mitarbeitenden in den Einrichtungen, die sagen, es nutzt uns gar nichts, wenn wir immer wieder Leute neu einarbeiten müssen, die mitunter vielleicht nicht motiviert sind, was ja vorkommt, wenn sie verpflichtet werden.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, ehrenamtliches Engagement hat auch etwas mit der Stärkung der Demokratie zu tun. Inwiefern?
Ossmann: Ja, absolut. Unsere Gesellschaft funktioniert nur mit Engagement, davon bin ich überzeugt. Demokratie kann man nicht nur konsumieren. Sie braucht aktive Beteiligung, und ich bin da sehr gespannt auf unsere Tagung am Donnerstag. Wir haben Claudine Nierth eingeladen. Die ist Vorstandssprecherin von "Mehr Demokratie e.V.". Sie hat viel Erfahrung in Form von Bürgerbeteiligung. Ich hoffe, davon können wir uns vielleicht noch etwas abgucken und lernen.
Das Interview führte Tobias Fricke.