Caritas-Vizepräsidentin fordert Familiennachzug

Die Familie als Kern

Im Bundestag und bei den Verhandlungen über eine Große Koalition wird über den Familiennachzug für Flüchtlinge diskutiert. Caritas-Vizepräsidentin Irme Stetter-Karp mahnt, das Schicksal des Einzelnen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Der Familiennachzug für Flüchtlinge bleibt Streitthema / © Sebastian Gollnow (dpa)
Der Familiennachzug für Flüchtlinge bleibt Streitthema / © Sebastian Gollnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sagen als Caritas-Vizepräsidentin: Viel wichtiger als die Zahlen, die im Zusammenhang mit dem Familiennachzug diskutiert werden, sind die einzelnen Schicksale, die dahinter stecken. Haben Sie ein Beispiel für uns? 

Irme Stetter-Karp (Vizepräsidentin Deutscher Caritasverband): Mir scheint wichtig, nicht zu vergessen, dass hinter den Zahlen Menschen stecken. Eine Beraterin der Caritas, die täglich mit Geflüchteten arbeitet, hat Folgendes erlebt: Ein 35-jähriger Syrer kam zu ihr und bedankte sich freundlich für die Hilfe, die er von ihr bekommen hat. Aber seine Frau und sein Kind, erzählte er, seien inzwischen in Syrien bei einem Bombenangriff getötet worden.

Ein ganz anderes Beispiel: Dieselbe Caritas-Mitarbeiterin konnte einem anderen Syrer helfen. Es hat zwar anderthalb Jahre gedauert, aber dann gab es einen Tag, an dem er Frau und Kinder nachholen konnte. Und er kam zur Caritas-Mitarbeiterin ins Büro, nachdem die Familie eingereist war, stellte die Frau und die Kinder vor und sagte: 'Jetzt bedankt euch mal!' Im Sinne von: 'Wir sind dankbar, dass wir gemeinsam hier sein können.' Es wäre schön, wenn solche Geschichten häufiger passieren würden. 

DOMRADIO.DE: Warum ist es - auch verfassungsrechtlich - problematisch, wenn Flüchtlinge ihre Familien nicht nachholen können?

Stetter-Karp: Es ist humanitär und integrationspolitisch fatal, weil ich natürlich gehandicapt bin, wenn ich mir Tag und Nacht Sorgen um meine Angehörigen machen muss. Dann habe ich keine Kräfte mehr, hier anzukommen, die Sprache zu lernen, einen Arbeitgeber zu finden und die bürokratischen Hürden zu bewältigen.

Wir sagen als Christen, dass wir die Kerneinheit der Familie für wichtig halten. Wir haben ja auch den Artikel 6 im Grundgesetz und den Artikel 8 in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die den grund- und menschenrechtlichen Charakter der Familie betonen. Insofern gilt es, gut abzuwägen. Das, was im GroKo-Sondierungspapier festgeschrieben wurde - es wird ja noch weiter verhandelt -, scheint mir dem nicht ausreichend gerecht zu werden. 

DOMRADIO.DE: Was müsste die neue Regierung machen, womit Sie als Caritas zufrieden wären?

Stetter-Karp: Die restriktive Regelung zum Familiennachzug treibt verzweifelte Angehörige in die Hände von Schleppern. Wenn wir immer hören, dass den Schleppern das Handwerk gelegt werden muss, dann ist doch die Frage: Welche Türen öffnen wir für den legalen Zugang?

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR