Im domradio.de-Interview sprach sich Cremer am Montag (30.06.2013) für einen "einen intensiven Dialog über die Konsequenzen zwischen Politik, Wissenschaft und Wohlfahrtsverbänden" aus. Hintergrund sind die Zahlen einer nun bekannt gewordenen Untersuchung. Demnach beantragen zwischen 3,1 Millionen und 4,9 Millionen Menschen keine Hartz-IV-Leistungen, obwohl sie einen Anspruch darauf hätten.
Das berichtet der in Berlin erscheinende "Tagesspiegel" in seiner Montagsausgabe unter Berufung auf aktuelle Simulationsrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das Bundesarbeitsministerium. Damit verzichteten 33 bis 44 Prozent der Anspruchsberechtigten auf Sozialleistungen. Die Caritas habe das Problem schon länger erkannt und angesprochen, so Cremer.
Scham und Unwissenheit
Als Gründe nennt der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes Unwissenheit und Scham oder eine als gering erwartete Leistungshöhe und -dauer. Vor allem Älteren fiele es schwer, ihre Zahlen offenzulegen, weil sie negative Folgen für ihre Kinder fürchteten.
Der Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Uwe Becker, bezeichnete die Quote der Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen als "beschämend für unseren Staat". Die Zahlen dürften nicht verwundern, denn für Viele sei der Gang zur Arbeitsagentur "ein Kreuzgang der Demütigung".
Die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping forderte mit Blick auf die der Zeitung vorliegende Studie eine bedarfsdeckende Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV. "Angesichts der entwürdigenden Prozeduren auf den Jobcentern ist es kein Wunder, dass Millionen auf Leistungen verzichten", sagte sie. Die "Abschreckung durch Diskriminierung" spare den Staat pro Jahr mindestens 20 Milliarden Euro.