Charlotte Knobloch gibt die Führung des Zentralrats der Juden ab

Abschied von der alten Dame

Am Sonntag wählt der Zentralrat der Juden in Deutschland eine neue Spitze. Präsidentin Charlotte Knobloch gibt den Stab nach vier Jahren weiter an einen Jüngeren. Die 78-Jährige repräsentierte als erste Frau die inzwischen 100 jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Und sie wird die letzte führende Vertreterin des deutschen Judentums gewesen sein, die noch der Generation der Überlebenden angehört.

 (DR)

Knoblochs Abschied hatte sich zu Jahresbeginn angekündigt. Als interne Kritik an ihrer Amtsführung den Weg in die Medien fand, erklärte sie am 7. Februar ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur. Die Umstände waren in der jüdischen Gemeinde umstritten. "Die große alte Dame des deutschen Judentums wurde auf unwürdige Art und Weise aus dem Amt gedrängt", konstatierte der Publizist Günther B. Ginzel.



Die Querelen im nunmehr 60 Jahre alten Dachverband sind auch ein Reflex darauf, dass das deutsche Judentum im Umbruch steckt. Das betrifft nicht nur das Verhältnis der Generationen und die Frage nach dem rechten Verhältnis von Erinnerung und Zukunftsorientierung.

Durch Zuwanderer aus Osteuropa ist die Mitgliederzahl der Religionsgemeinschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 30.000 auf mehr als 110.000 gestiegen. Das verlangt den Kultusgemeinden gewaltige Integrationsleistungen ab.



Zugleich ist das Judentum heute wesentlich stärker im öffentlichen Leben präsent. "Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", bilanziert Knobloch zufrieden. Während ihrer Amtszeit hat sie in allen Bundesländern Synagogen eingeweiht. In ihrer Heimatstadt München liegt das 2006 eröffnete jüdische Zentrum mitten in der Altstadt. Die Hauptsynagoge Ohel Jakob ist ihr Stein gewordenes Lebenswerk, Frucht beharrlicher Anstrengungen, seit sie 1982 zum ersten Mal in den Vorstand der jüdischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gewählt wurde.



Den Zentralrat der Juden zu führen dürfte das exponierteste Ehrenamt sein, das es in Deutschland gibt. Knobloch bewegte sich in den vergangenen Jahren keinen Schritt ohne Personenschützer, auch nicht vor wenigen Tagen in Rom, als sie der Münchner Erzbischof Reinhard Marx zu seiner Erhebung in den Kardinalsstand eingeladen hatte.



Die resolute Dame mit den mahagonifarbenen Haaren und den stets eleganten Kostümen ertrug diese Belastung mit eiserner Disziplin und im Bewusstsein, das Schlimmste in ihrem Leben schon hinter sich zu haben. Als Kind entging sie dem mörderischen Nationalsozialismus nur, weil sie von einer ehemaligen katholischen Hausangestellten ihres Onkels als uneheliche Tochter ausgegeben wurde. Die versteckte sie bei ihrer Familie in Franken auf einem Bauernhof.



Nach dem Krieg war längst nicht klar, ob die junge Frau auf Dauer in Deutschland bleiben würde - im Gegenteil. Als die Rechtsanwaltstochter 1951 den Kaufmann Samuel Knobloch, einen Überlebenden des Krakauer Ghettos, heiratete, war die Auswanderung nach Amerika beschlossen. Doch dann hielt ihre erste Schwangerschaft das Paar von der Reise ab.



Charlotte Knobloch hat für ihr Wirken höchste Auszeichnungen erhalten, zuletzt das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern zu Beginn der Woche. Eine kleine Premiere bestritt sie Anfang Oktober, als sie erstmals als Rednerin in der Katholischen Akademie in Bayern sprach

- und das einmal nicht über Antisemitismus und Rassismus, sondern über Religion und Emanzipation.



In einem bewegenden und sehr persönlichen Vortrag hielt Knobloch ein jüdisches Plädoyer für den interreligiösen Dialog. Religion, sagte sie, sei "nicht dazu da, uns unsere Grenzen aufzuzeigen". Ihre Kernkompetenz sei es, "uns zu helfen, einen Weg zu Gott zu finden".

Wegweiser dazu, nämlich Nächstenliebe und Respekt vor der menschlichen Würde, fänden sich in allen drei monotheistischen Religionen.