KNA: In Deutschland wird im Herbst ein neuer Bundestag gewählt. Manch einer fürchtet schon jetzt, dass es zu einem Hauen und Stechen wie bei Donald Trump und Hillary Clinton in den USA kommt. Teilen Sie diese Sorge?
Sternberg: Ich hoffe, dass alle Parteien einen argumentativen Wahlkampf führen: In der Sache hart, aber ohne Schläge unter die Gürtellinie und ohne persönliche Verletzungen.
KNA: Gilt das auch für die AfD?
Sternberg: Ich bin nicht sicher, ob diese Partei überhaupt eine gefestigte Partei ist oder eine Sammelbewegung von rechten Gruppierungen. Auf jeden Fall scheint es zu ihrer Strategie zu gehören, durch Skandale und Krawall auf die Titelseiten zu kommen. Das ist eher Polit-Entertainment und wenig hilfreich für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Problemen, die zweifellos nottut.
KNA: Wie erklären Sie sich, dass manche Christen mit der AfD sympathisieren? Sternberg: Dass zu unchristlichen Gruppierungen auch Christen gehören und dass christliche Gruppierungen auch Unchristen in ihren Reihen haben, war schon immer so. Ich stelle lediglich fest, dass die Frage der Menschenwürde - und zwar unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit - eine unverhandelbare Grundtatsache christlichen Glaubens ist.
KNA: Wie können die Kirchen dazu beitragen, gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen zu versachlichen?
Sternberg: Indem sie beispielsweise die Gesellschaft über Bedeutung und Wesen von Religion informieren, Ängste vor religiösen Konflikten aufgreifen und auch Extremismus und Terrorismus thematisieren. Dazu ist beispielsweise der Dialog mit dem Islam sehr wichtig.
KNA: Nun steht aber gerade der deutsch-türkische Moscheeverband Ditib - der größte islamische Einzelverband hierzulande - wegen seiner engen Anbindung an die Türkei in der Kritik. Gibt es auf Verbändeebene überhaupt angemessene Ansprechpartner?
Sternberg: Ich kann nur davor warnen, bereits jetzt die gesamte Ditib in Verruf zu bringen. Wir wissen derzeit noch nicht, wohin sich das alles entwickelt. Wenn sich allerdings herausstellen sollte, dass Ditib es nicht schafft, sich in einem stärkeren Maße als bisher zu verselbstständigen, dann wird sich die gesamte Dialogarbeit mit den Verbänden neu orientieren und sortieren müssen.
KNA: Blicken wir auf Europa. Täuscht der Eindruck - oder ist die Stimme der Kirchen auf dieser Ebene nur sehr schwach zu hören?
Sternberg: Auch hier gibt es engagierte Leute. Aber vielleicht haben wir als Kirche Europa zu wenig auf dem Schirm. Wenn man sich klar macht, dass das europäische Einigungsprojekt auch ein christliches war, dass die Gründungsväter Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer praktizierende Katholiken waren, dann müssten eigentlich gerade wir Katholiken etwas zur Bewältigung der Krisen in Europa beitragen können.
KNA: Stattdessen wird Großbritannien den Brexit, den Ausstieg aus der EU, in diesem Jahr vorantreiben. Werden andere Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen?
Sternberg: Ich hoffe, dass der Schrecken über den Brexit anderen Ländern in den Knochen sitzt. Niemand in Großbritannien hatte ja damit gerechnet, dass das durchgeht - auch die Akteure selbst nicht. Wenn jetzt auch noch Schottland per Referendum seine Unabhängigkeit erklären sollte, wäre Großbritannien auf den Status von Dänemark zurückgeworfen - eigentlich unvorstellbar.
KNA: Möglicherweise auch ein Zeichen für den begrenzten Wert von Volksbefragungen.
Sternberg: Ich glaube, dass die repräsentative Demokratie sehr viel für sich hat. Übrigens auch durch die Verantwortung des einzelnen Politikers - vor den Wählern und dem eigenen Gewissen. Meiner Meinung nach steckt hinter dem Ruf nach mehr direkter Demokratie ein Denkfehler.
KNA: Nämlich welcher?
Sternberg: Dass wir meinen, schon allein die Zahl von Befürwortern oder Gegnern würde die politische Entscheidungsfindung qualitativ nach vorne bringen. Die Orientierung an Quoten, Zahlen und Mengen schafft aber oft nur eine Scheinobjektivität, die mit der Wahrheit nicht unbedingt etwas zu tun hat.
KNA: Ähnlich scheint es sich mit manchen Empörungswellen im Internet zu verhalten.
Sternberg: Wir müssen aufpassen, dass wir uns da nicht von einem Grüppchen von Leuten treiben lassen. Es gibt keinen Grund, sich verrückt machen zu lassen von Menschen, denen offensichtlich jede Art von Anstand abhandengekommen ist. Es gibt sicher viele Dinge, über die zu diskutieren ist. Aber das geht auch ohne Schaum vor dem Mund. Und ohne uns ständig aus der Ruhe bringen zu lassen von einer Welt, von der ich manchmal den Eindruck habe, sie existiert nur im Netz. Nichts spricht dafür, hysterisch zu werden.
KNA: Sie klingen, als hätten Sie da einige Erfahrung gesammelt in letzter Zeit.
Sternberg: Wir haben beim Katholikentag in Leipzig im vergangenen Jahr eine unglaubliche Fülle von Mails bekommen, die immer nach demselben System strukturiert waren, dass ich geradezu sicher bin, dass es sich nicht um Mails handelte, die unmittelbar von diesen Menschen verfasst worden sind.
KNA: Wie kommen Sie darauf?
Sternberg: Die Schreiben folgten alle einer vorgegebenen Struktur. Sie begannen immer damit, dass man ein guter Katholik sei, dann kamen Vorwürfe an die Kirche, und der Abschluss bestand sinngemäß darin, dass nun der Punkt erreicht sei, aus der Kirche auszutreten.
KNA: Diejenigen, die noch drin sind, zahlen Steuern, und das aufgrund der guten konjunkturellen Lage nicht zu knapp.
Sternberg: Die Kirche hat mit hohen Steuereinnahmen eine sehr gute Lage, es gab eine starke Steigerung. Gleichzeitig haben alle Bistümer nach 2003 Sparkonzepte gemacht aus Angst vor zurückgehenden Einnahmen. Das ist grundsätzlich sinnvoll. Bisher steigen die Steuereinnahmen noch. Dennoch haben sie die Ausgaben gekürzt und heruntergefahren. Wir brauchen aber dringend ein größeres Bewusstsein in den Bistümern für die überregionalen Aufgaben. Die Bistümer müssen sich überlegen, ob katholische Aktivitäten in Deutschland ausschließlich auf Diözesanebene passieren. Oder ob es Dinge gibt, die sie eben auf Bundesebene einbringen wollen.
KNA: Ist die Verteilung der Steuergelder nach Bistümern überhaupt sinnvoll? Oder sollten die Bistümer einen größeren Anteil für überdiözesane Aufgaben an die Bischofskonferenz abgeben?
Sternberg: Denkbar wäre eine Diskussion über die Verteilung der Kirchensteuern. Dass Kirchensteuern bistumsscharf abgerechnet werden, ist nicht Gott gegeben. Bis 1950 waren die Gemeinden die Bezieher von Kirchensteuern. Und wenn der Papst eine Stärkung der Bischofskonferenzen fordert: Warum sollte man dann nicht die Bischofskonferenz besser ausstatten?
Das Interview führte Joachim Heinz und Leticia Witte.