Mit einem Friedensgottesdienst in der Chemnitzer Stadtkirche St. Jakobi ist am Montagabend an den gewaltsamen Tod von Daniel H. vor einem Jahr erinnert worden. Eingeladen hatten dazu am Jahrestag der tödlichen Messerattacke evangelische und katholische Gemeinden der Stadt.
An dem ökumenischen Gottesdienst nahm auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) teil. Im Anschluss schlossen sich nach Veranstalterangaben rund 400 Teilnehmer zu einer Menschenkette um die Stadtkirche St. Jakobi und das Rathaus zusammen, um ein Zeichen der Nächstenliebe und Toleranz zu setzen.
Eine volle Kirche
Der Pfarrer Clemens Rehor ist der katholische Propst von Chemnitz und erklärt im DOMRADIO.DE-Interview, er hätte selten eine solche Resonanz gesehen. "Die Kirche St. Jakobi war voll. Viele mussten stehen", erklärt er. Das sei unter der Woche eher selten.
Die Stadt sei in Aufruhr, berichtet der Pfarrer. Rechte Demonstrationen, Gegendemonstrationen. Um mit den Chemnitzern ins Gespräch zu kommen, hatten die Kirchen seit den Ausschreitungen eine Reihe "Erzähl mir..." iniitiert. Doch zu den sieben Abenden gekommen seien meist nur 20 bis 40 Chemnitzer. Um so mehr freut es Rehor, dass so viele bei der Menschenkette unter zehn Minuten Glockengekäut mitgemacht hätten. "Wir versuchen einfach die Mitte zu mobilisieren", so Rehor
Aufruf zu Toleranz
Die evangelische Pfarrerin Dorothee Lücke betonte: "Wir wollen einen Beitrag leisten für das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt." Der Hass, der vor einem Jahr bei den fremdenfeindlichen Demonstrationen zu spüren gewesen sei, habe viele entsetzt. Der Chemnitzer Superintendent Frank Manneschmidt und Propst Clemens Rehor riefen dazu auf, offen und tolerant zu bleiben.
Die Stadtgesellschaft sei nach dem Ereignis eine andere als vorher, die Menschen seien nach wie vor angespannt, sagte Manneschmidt dem Evangelischen Pressedienst (epd), gerade jetzt am Jahrestag des Tötungsdelikts. Auf der anderen Seite merke er aber auch, dass es viele Chemnitzer gebe, "die sagen, wir müssen aufstehen und Zeichen setzen". Sie wollten zeigen, dass Chemnitz keine braune Stadt sei. Die Mehrheit der Bürgergesellschaft stehe für etwas anderes als das, was aus der rechten - oder manchmal auch linken - Ecke an Gewalt und Hassparolen kommt, betonte der Superintendent.
Neuneinhalb Jahre Haft für 23-Jährigen
Am 26. August 2018 war der 35 Jahre alte Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes erstochen worden. Vergangene Woche wurde ein 23-jähriger Syrer wegen gemeinschaftlichen Totschlags an Daniel H. und gefährlicher Körperverletzung an einer weiteren Person zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Er soll die Tat gemeinsam mit einem bis heute flüchtigen Iraker verübt haben. Die Verteidigung ging in Revision.
Rechte Gruppen, darunter "Pro Chemnitz", hatten die Tat wiederholt für ausländerfeindliche Demonstrationen instrumentalisiert. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Attacken gegen ausländisch aussehende Personen.
Chemnitzer Initiativen hatten am Wochenende das Bürgerfest "Herzschlag" veranstaltet. Es wurde für das zuvor abgesagte Stadtfest ins Leben gerufen und zog nach Veranstalterangaben mehr als 65.000 Menschen an. Für 2020 ist bereits eine Wiederauflage geplant.
"Erkennbar rechtsextremistische Inhalte"
Am Sonntagabend hatte "Pro Chemnitz" erneut demonstriert. Rund 450 Menschen nahmen nach Polizeiangaben daran teil. Zu einer Gegenveranstaltung kamen etwa 300 Menschen. Eine weitere Versammlung unter dem Motto "Herz statt Hetze" vereinte rund 100 Teilnehmer.
Seit Ende 2018 wird die "Bürgerbewegung Pro Chemnitz" vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Nach Angaben des Landesamtes haben Mitglieder von "Pro Chemnitz" seit dem Tötungsdelikt "erkennbar rechtsextremistische Inhalte verbreitet".