Chrismon-Chefredakteurin hat zum Tag der Geschwisterliebe einige Tipps

Wenn der große Bruder nie den Tisch abräumt

Streit zwischen Geschwistern kommt sowohl in der Kindheit als auch noch im Erwachsenenalter vor. Was schon früh zu einer guten Streitkultur beiträgt, weiß Ursula Ott, Chrismon-Chefredakteurin und Buchautorin von "Gezwisterliebe".

Symbolbild Geschwister auf einer Bank / © AS photo family (shutterstock)
Symbolbild Geschwister auf einer Bank / © AS photo family ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben eine ältere Schwester. Teilen Sie alles mit ihr?

Ursula Ott (DR)
Ursula Ott / ( DR )

Ursula Ott (Chefredaktuerin von "Chrismon" und Buchautorin): Alles ist ein bisschen viel gesagt. Wir teilen zum Beispiel unsere Hauptleidenschaft, wir schwimmen beide wahnsinnig gerne. Wir haben eine sehr enge Beziehung. Wir wissen eigentlich immer, wo die andere gerade steckt und wie es ihr geht.

DOMRADIO.DE: Sie haben sich intensiv mit Geschwisterbeziehungen befasst. Als Ihr Vater gestorben ist, haben Sie und Ihre Schwester festgestellt, dass sie beide in der Rückschau den Vater ganz unterschiedlich gesehen haben. Wie hat sich das geäußert?

Ott: Mein Vater war ein sehr strenger, autoritärer Vater, das fanden wir beide. Er war ein absoluter Autonarr, hat bei Mercedes gearbeitet. Eigentlich drehte sich immer alles um Autos. Meine Schwester ist auch in diese Richtung gegangen und hat eine Ausbildung bei Daimler gemacht. Ich habe mich früh dagegen entschieden und dachte, ich müsste unheimlich rebellieren. Ich bin die Fahrradfahrerin geworden. Jetzt im Rückblick – unser Vater ist schon lange tot – schauen wir auf unsere Kindheit in vielerlei Hinsicht ganz unterschiedlich. Das ist fast immer so bei Geschwistern.

Ursula Ott

"Das ist typisch für Geschwister, dass wir sehr unterschiedlich auf die Familie und die Kindheit schauen."

DOMRADIO.DE: Hat das zu Streitigkeiten bei Ihnen geführt?

Ott: Streitigkeiten ist übertrieben. Aber wir haben zum Beispiel festgestellt, als wir das Elternhaus ausgeräumt haben, dass wir die Kindheit in vollkommen unterschiedlicher Erinnerung hatten. Meine Schwester, die meinen Vater sehr verehrt hat, hat sich erinnert, dass bei Kindergeburtstagen der Papa immer von Mercedes ein großes Auto mitbrachte. Mit einem Bus fuhr er alle nach Hause, er hatte einen Busführerschein. Das fand sie mega, das war ja auch toll. 

Wenn ich mich an Kindergeburtstage erinnere, dann vor allem daran, dass der Papa früh auf die Uhr geguckt hat. Dass ihm alles zu viel und zu laut war und er eigentlich nicht gerne Leute um sich hatte. Das ist typisch für Geschwister, dass wir sehr unterschiedlich auf die Familie und die Kindheit schauen.

DOMRADIO.DE: Sie haben ein Buch geschrieben: "Gezwisterliebe. Vom Streiten, Auseinandersetzen und Versöhnen." Es wird nicht den einen Geschwister-Zwist geben, aber woran entzünden sich die Streitigkeiten häufig?

Ott: Es gibt ein paar Klassiker. Das Ausräumen des Elternhauses, was einem unweigerlich bevorsteht, wenn die Eltern alt und pflegebedürftig werden oder vielleicht schon verstorben sind. Die Frage, ob wir die Mama ins Pflegeheim oder ins betreute Wohnen bringen sollen. Später dann, ob wir das Haus der Eltern behalten sollen, da zerstreiten sich viele. 

Oft drehen sich Streitigkeiten auch um das Erbe, da geht es auf den ersten Blick um Geld. Aber ganz oft geht es dabei um ganz andere Dinge, um frühe Rechnungen, alte Rechnungen: "Du hast früher schon immer..., du durftest Abi machen, ich nicht. Dir hat der Papa ein Auto gekauft." 

Alte Rollen kommen wieder auf in diesem Moment, wo man sowieso gestresst ist. Weil die Eltern schwächeln oder verstorben sind, kommen diese alten Dinger wieder hervor. Deswegen habe ich das Buch geschrieben.

DOMRADIO.DE: Geschwisterbeziehungen sind oft die längsten Beziehungen in einem Leben. Das beginnt in der Kindheit, da gibt es möglicherweise die ersten banalen Spannungen. Wie groß ist die Gefahr, dass es ein Leben lang so bleibt und sich vielleicht sogar noch verschärft?

Ott: Da kann ich Sie beruhigen, Streit zwischen Geschwistern in der Kindheit ist total normal. Man muss sich um die Zeit der Eltern, um die Aufmerksamkeit der Eltern streiten. Als meine Jungs klein waren, ging es manchmal schlicht darum, wer beim Essenstisch neben Mama oder im Auto vorne sitzen darf. Die Konkurrenz und das Streiten unter Kindern ist gesund und gut, sagen die Forscher. 

Symbolbild Ein Mädchen deckt den Tisch / © Dragana Gordic (shutterstock)
Symbolbild Ein Mädchen deckt den Tisch / © Dragana Gordic ( shutterstock )

Ich habe mit vielen Psychologinnen und Psychologen und auch mit einem katholischen Beratungsstellenleiter über alle meine Fälle und Themen gesprochen. In der Kindheit muss man sich streiten. Das ist sogar ein super Training für das spätere Leben und vielleicht sogar für die Demokratie. Wir brauchen Streit.

Ursula Ott

"Die Konkurrenz und das Streiten unter Kindern ist gesund und gut."

DOMRADIO.DE: Das Versöhnen unter Geschwistern sollte das Ziel sein. Welche Lösung haben Sie?

Ott: Wenn man in meinem Alter ist, Anfang 60, und schwere Belastungen wie Pflege und Todesfälle kommen, verharrt man manchmal in diesen alten Rollen. Die passen aber nicht mehr. Man ist nicht mehr das Nesthäkchen, das mit großen Augen sitzenbleiben und warten kann, bis Entscheidungen gefällt werden, wer der Bestatter wird zum Beispiel. Da ist die Kindheitsrolle nicht mehr hilfreich. 

Ich empfehle in meinem Buch, diese Situationen von damals anzuschauen. Der Berater sagte immer: "Erklären, nicht entschuldigen." Sich angucken, wie das war in der Kindheit und sagen: "Das war auch ungerecht, dass der große Bruder nie den Tisch abgeräumt hat. Lass uns jetzt reden." Da kann man sich bei einer Beratungsstelle der Kirchen Hilfe holen, wenn man nicht aus diesem alten Kindheitskram rauskommt.

Ursula Ott

"Das Wichtigste sei, dass die Eltern konstruktiv streiten können, dass sie einen guten Ton und eine Streitkultur haben."

DOMRADIO.DE: Kommen Geschwister, die sich als Kinder gut verstanden haben, erfahrungsgemäß auch als Erwachsene gut aus?

Ott: Das kann man, glaube ich, wissenschaftlich nicht belegen. Aber was man belegen kann, ist, dass Kinder, die erfahren haben, dass Eltern gut kommunizieren, besser klarkommen. Der Berater hat mir ans Herz gelegt, das Wichtigste sei, dass die Eltern konstruktiv streiten können, dass sie einen guten Ton und eine Streitkultur haben. 

Wenn Sie wollen, dass ihre Kinder später keinen Streit kriegen, ist das Beste, was sie tun können, selber so friedfertig wie möglich zu kommunizieren und nicht Sachen in sich hineinzufressen und den anderen nicht vorzuführen. Alles, was man eigentlich als erwachsener Mensch weiß und ab und zu auch beherzigen soll.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR

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