CIBEDO-Leiter warnt nach Kirchen-Anschlag vor Folgen für den Irak

„Christen-Exodus trifft Gesellschaft hart“

Das Geiseldrama in einer Kirche in Bagdad hat wieder einmal gezeigt: Die Situation für Christen im Irak ist dramatisch. Dabei, sagt Peter Hünseler, sind Christen eigentlich seit bald 2000 Jahren ein wichtiger Teil der irakischen Gesellschaft. Im Interview mit domradio.de spricht der Beauftragte der deutschen Bischöfe für den Dialog mit dem Islam über die Zukunft.

 (DR)

domradio.de: Warum richtet sich im Irak der Hass vor allem gegen die Christen?

Hünseler: Ich weiß nicht, ob man im Irak von Hass sprechen kann. Al-Qaida ist ja eine Terrorgruppe, die diesen Terrorakt ausgeübt hat. Und man kann nicht davon sprechen, dass hier ein irakischer Hass gegen Christen zum Ausdruck käme. Das Christentum steht Synonym für den Westen und vor allem die USA - das Feindbild der Al-Quaida. Insofern sind es immer wieder christliche Kirchen und Bischöfe, die Ziel eines Terroraktes werden.



domradio.de: Also nicht der gesamte Irak lehnt Christen ab?

Hünseler: Nein, denn die Christen im Irak sind ja Iraker, das sind ja Gemeinden, die seit 2000 Jahren schon dort sind: 40 nach Christus wurden die ersten christlichen Gemeinden gegründet; zunächst in Syrien, später aber auch im Irak. Und eigentlich haben sich alle frühen, jungen Kirchen im Irak festgesetzt und dort Gemeinden gehabt über 2000 Jahre. Sie sind ein fester Bestandteil der irakischen Gesellschaft und Kultur.



domradio.de: Wie viele Christen leben denn im Irak?

Hünseler: Wie viele es noch sind, kann man nicht genau sagen. Aber bis zum Beginn des Irak-Krieges im Jahre 2003 ging man so von acht Prozent der Bevölkerung aus, die sich dann auf die fünf verschiedenen orientalischen Kirchen verteilten.



domradio.de: Und wie leben sie dort mitten unter den Muslimen?

Hünseler: Die Christen sind ein fester Bestandteil der irakischen Gesellschaft. Sie sind in aller Regel gut gebildet, jedenfalls die, die in Zentral-Irak leben. Von einigen kurdischen christlichen Gemeinden kann man das nicht ganz so sagen. Aber die Christen im Irak haben eigentlich eine gute und wichtige Funktion in der Mittelklasse der irakischen Gesellschaft gehabt. Sie sind Anwälte, sie sind Lehrer, sie sind Universitätslehrer und haben eigentlich eine große Bildung aufzuweisen. Und legen auch sehr viel Wert darauf. Wenn die jetzt das Ziel solcher Anschläge werden und es dann zu einem Exodus von Christen kommt, wird das die irakische Gesellschaft hart treffen.



Zur Person: Peter Hünseler ist Theologe und Islamwissenschaftler. Er leitet seit November 2004 die Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) in Frankfurt am Main, eine Institution der Deutschen Bischofskonferenz. Unter anderem wirkte er von 1985 bis 1996 in Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Israel und Marokko für die Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Das Gespräch führte Monika Weiß, hören Sie es hier in voller Länge nach.