Claas Relotius, der "Spiegel" und der Journalismus

Gefühlte Wahrheiten

Die Meldung sorgt für viele Schlagzeilen. Der "Spiegel" gab bekannt, dass einer seiner Reporter mehrere Texte oder Teile davon erfunden hat. Für eine Reportage hat er im vergangenen Jahr auch den Katholischen Medienpreis erhalten.

Autor/in:
Joachm Heinz
 (DR)

Wer weiß: Vielleicht werden die Geschichten von Claas Relotius für den "Spiegel" das, was für die Hamburger Nachbarn vom "stern" 1983 die gefälschten Hitler-Tagebücher sind. Etwas, das am Image vom journalistischen Flaggschiff haften bleibt. Zur Wochenmitte gab das Magazin bekannt, dass der als Star seiner Zunft gehandelte Relotius zumindest Teile seiner Reportagen frei erfunden hat.

Die ganze Dimension des Falls lasse sich noch nicht abschätzen, schrieben tags darauf die künftigen "Spiegel"-Chefs Steffen Klusmann und Dirk Kurbjuweit. "Wir haben begonnen, aufzuklären, und wir werden ein Komitee bilden, das jeden Stein umdrehen soll."

Katholischer Medienpreis für die Reportage "Königskinder"

Für diese Offenheit ernten die Verantwortlichen Respekt - zum Beispiel vom Deutschen Journalisten Verband (DJV). Dass etwas schief gelaufen sei, habe der "Spiegel" sofort "unumwunden zugegeben", sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Nun gelte es, daraus zu lernen. "Das will der 'Spiegel' und das wollen wir." Unterdessen zog Relotius erste Konsequenzen und gab seine vier Deutschen Reporterpreise zurück. Es sind nicht die einzigen Preise, mit denen der 33-Jährige bedacht wurde.

So erhielt er im vergangenen Jahr den Katholischen Medienpreis für seine Reportage "Königskinder" über ein Geschwisterpaar aus dem syrischen Aleppo, das vor den Gräueln des Krieges in die Türkei flüchtete. "Der 'Spiegel' ist mit uns in Kontakt getreten. Eine Fälschung des Gewinnerbeitrags 2017 ist bisher nicht nachgewiesen", sagte der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp.

Unabhängig davon wirft der Fall Relotius ein paar grundsätzliche Fragen auf, wie etwa Journalist Jörg Tadeusz findet. Er überreichte laut eigenem Bekunden mehrfach Preise an Relotius - und plädiert inzwischen für ein Umdenken. In Deutschland gebe es rund 500 Journalistenpreise. "Ich werde von diesen erst dann wieder einen vergeben, wenn Verkehrspiloten auch für jede zehnte geglückte Landung prämiert werden. Also auch dafür, dass sie lediglich ihren Job machen."

Zwischen Journalismus und Literatur

Einen anderen Aspekt bringt DJV-Chef Überall ins Spiel. Dass die Preise oft immer denselben Branchenvertretern zuerkannt würden, habe vor allem einen Grund: "Weil Reporter von ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen müssen, sich womöglich wochenlang mit nur einem Thema befassen zu können." Leider gebe es viel zu wenige Medien, die ihren Mitarbeitern diese Freiräume schaffen. Journalismus als Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Zum kompletten Bild gehört aber auch, dass die Luft ganz oben dünn ist. "So manch einer kann da versucht sein, aus Journalismus Literatur zu machen, die in Fiktion mündet", schreiben Klusmann und Kurbjuweit. "Claas Relotius hatte offenbar das Gefühl, unseren Erwartungen nicht gerecht werden zu können mit guten und sehr guten Geschichten. Sie mussten exzellent sein." Insofern sehe man in Relotius "nicht einen Feind, sondern einen von uns, der mental in Not geraten ist und dann zu den falschen, grundfalschen Mitteln griff".

Den Schaden hat nun nicht nur der "Spiegel", sondern den haben alle Journalisten, die sich um eine angemessene Darstellung von Fakten und Wirklichkeit bemühen. "Im Jahr 4 nach Pegida kann es leider nicht ausbleiben, dass die Medienhasser ihrer Wut erneut Luft machen", so DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner.

Der "Spiegel" will den Fall mit Demut aufarbeiten

Vor zu viel Selbstbetroffenheit warnt Tadeusz: "Die dümmlichen Verschwörungstheorien von Rechtspopulisten von der zentral gelenkten Journaille gönnen uns eine Opferhaltung. In der wir vor jeder berechtigten Kritik in Sicherheit sind." Frank Überall rät: "Wir Journalisten und die Chefs der Medienhäuser müssen das tun, was auch schon vor dem Fall Relotius angesagt war und getan wurde: Transparenz herstellen, über unseren Beruf informieren, Fragen beantworten. Und uns nicht beirren lassen von Shitstorms."

Eine Garantie, dass sich derlei nicht wiederholt, wird es kaum geben. So löste der Journalist Tom Kummer im Jahr 2000 einen großen Medienskandal wegen fiktiver Interviews aus. Manchmal scheint die Branche von zu viel Selbstbewusstsein zu leben. Demgegenüber hat der "Spiegel" angekündigt, wie er den Fall nun aufarbeiten will: mit Demut.


Quelle:
KNA