Comece-Berater über SS-Massaker in Frankreich

Ein Besuch, der seine Zeit brauchte

Warum Joachim Gauck erst jetzt Oradour besucht, erklärt Frankreichexperte Stefan Lunte. Er arbeitet für die Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen Comece. Auch Christen tragen zur deutsch-französischen Aussöhnung bei, etwa mit Taizé.

Oradour-sur-Glane (dpa)
Oradour-sur-Glane / ( dpa )

domradio.de: Was ist in Oradour-sur-Glane passiert?

Stefan Lunte: Grausames, es lässt sich kaum in Wort fassen. Am 10. Juni 1944 ist eine Abteilung der SS-Division "Das Reich" in das Dorf Oradour gefahren, angeblich um dort nach Widerstandskämpfern zu suchen und nach Waffenlagern des französischen Widerstands, aber es handelte sich offensichtlich um eine Vergeltungsaktion, die ohne jedes Maß und ohne jede Zurückhaltung zum Mord von der ganzen Bevölkerung des Dorfes geführt hat.

domradio.de: Wie kein anderer Ort in Frankreich steht das Dorf Oradour für die Leiden, die Deutschland über Frankreich gebracht hat, deshalb wurde es nie restauriert und steht bis heute für die Erinnerung an dieses Leiden. Joachim Gauck ist der erste Bundespräsident, der dieses Dorf besucht. Ein lange erwarteter Besuch in Frankreich?

Stefan Lunte: Ja und ein Besuch, der seine Zeit brauchte. Zur Erinnerung, schon 1947 haben Jugendliche aus Hamburg angeboten, dieses Dorf wiederaufzubauen und sind dabei sehr brüsk von den Franzosen zurückgewiesen worden. Es ist auch innerhalb Frankreichs ein langer Weg gewesen, weil viele, die dieses Massaker verübt haben, auch Elsässer waren, die zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Das hat auch innerhalb Frankreichs viel Zeit gebraucht, bis der erste Bürgermeister Straßburgs an dieser Veranstaltung teilnehmen konnte, die jeweils jedes Jahr am 10. Juni dort stattfindet, jetzt kommt der deutsche Bundespräsident, das ist noch einmal ein gutes Zeichen für Frieden und Versöhnung und glaube ich der Abschluss einer langen Kette von Schritten aufeinander zu.

domradio.de: Jetzt wurde gerade erst vor ein paar Monaten das 50-jährige Jubiläum des Elysée-Vertrags gefeiert, mit der die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich besiegelt wurde. Wie erleben Sie diese Freundschaft, wächst da wirklich was zusammen?

Lunte: Ja und nein. Es gibt da einerseits ja über 2000 Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich. Es gibt dort manchmal auch Ermüdungserscheinungen, weil die Generationen, die nun unmittelbar am Krieg beteiligt waren, nicht mehr da sind und auch andere Partnerschaften zu Italien oder anderen Ländern in den Vordergrund rücken, aber dennoch ist allen in Frankreich bewusst, dass der erste Partner, der erste Freund Frankreichs in Europa Deutschland ist und das ist, glaube ich, unverrückbar, auch wenn jetzt im tagespolitischen Geschäft auch manche schrillen Töne zu hören sind, gerade von den politischen Extremen, von dem rechtsextremen Front National oder auch von der extremen Linken.

domradio.de: Sie sind auch Mitarbeiter der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen. Was tun die Kirchen für die Freundschaft?

Lunte: Die Kirchen sind auf vielfältiger Weise beteiligt an dieser Versöhnung. Es brauchen nicht immer Bischöfe zu sein, weil Sie von den Bischofskonferenzen sprechen. Es gibt viele Initiativen gerade auf der Ebene der Laien, der katholischen Verbände, aber ich erinnere auch an einen Ort wie Taizé, an dem sehr viel deutsch-französische Begegnung, Verständigung, Versöhnung stattfindet. Ich erinnere an alles, was getan wird, um das Erinnern und das Gedenken, an den deutschen Priester Stock wachzuhalten, der in Paris den französischen politischen Gefangenen beistand. Es gab schon sehr früh Initiativen dieser Art. Auf der offiziellen kirchlichen Ebene gab es in diesem Jahr eine gemeinsame Erklärung, vielleicht auch zu wenig beachtet, der deutschen und französischen Bischöfe, um auch noch einmal in besonderer Weise herauszustreichen, wie eng Deutschland und Frankreich miteinander verbunden sind und wie wichtig es ist, dass Deutsche und Franzosen zusammenstehen.

Das Interview führte Heike Sicconi


Quelle:
DR