Religionsvertreter warben am Freitag für eine Kultur des Erinnerns und riefen dazu auf, rechtzeitig gegen Hass und Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Der katholische ÖKT-Präsident Thomas Sternberg sagte in der vorab aufgezeichneten Veranstaltung, dass das Gedenken zu Beginn des Tages auch den jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland würdigen solle.
"Gedenken, das passiert vor allen Dingen im Kopf, aber muss auch das Herz erreichen. Es muss begleitet sein von einem bewussten Erinnern, von einem Zulassen, das etwas Inneres erreicht, das mein Herz erreicht, um das auch Unvorstellbare, Unfassbare, das geschehen ist, zu erinnern", so Sternberg. Angesichts der ermordeten Juden sagte er: "Diese Menschen fehlen uns." Vor der NS-Diktatur hatte die Frankfurter Gemeinde rund 30.000 Mitglieder.
Gegenwarts- und Zukunftsverantwortung übernehmen
Die evangelische ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg verwies darauf, dass es seit 1961 Tradition sei, zu Beginn evangelischer Kirchentage ein solches Gedenken zu veranstalten - im Bewusstsein "christlicher Verantwortung für die Schuld, die wir auf uns geladen haben". Zum Erinnern gehöre, Gegenwarts- und Zukunftsverantwortung zu übernehmen, womit auch das Einstehen gegen Antisemitismus, Rassenhass, Hetze und Gewalt gemeint sei.
Marc Grünbaum vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt erinnerte an das jüdische Leben in der Stadt und stellte die heutige Gemeinde mit ihren 6.500 bis 7.000 Mitgliedern vor. Sie gehört zu den vier größten in Deutschland. "Jüdisches Leben war und ist fester Bestandteil der Stadt und der Stadtgesellschaft." Ohne jüdische Präsenz wäre Frankfurt nicht die Stadt, die sie heute sei
Mit Blick auf das aktuelle Festjahr "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" betonte Grünbaum, dass es nicht "per se" eine Geschichte der Kontinuität sei: "11.908 - das ist die Zahl der Menschen, die aus Frankfurt in den Tod deportiert wurden." Trotz allem sei nach der Schoah eine Gemeinde aufgebaut worden. "Die Frankfurter Gemeinde entwickelte sich nicht nur zu einem Vorbild für politisches und zivilgesellschaftliches Engagement, sondern auch zum Vorbild für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt." Angesichts von Antisemitismus sei die Frage der Sicherheit jedoch aktueller denn je.
Der Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan, der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz und sein evangelischer Kollege Achim Knecht trugen ihre Gedanken unter anderen zu Psalm 118 vor. Dieser enthalte Elemente von Klage, Lob und Bitte, so Soussan. Er rief dazu auf, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Knecht sagte: "Dank sei Gott, dass wir hier gemeinsam stehen dürfen."
Zu Eltz erinnerte daran, dass es in der Nazi-Zeit nur wenige Gerechte gegeben habe. Daher dürften die Menschen heute nie mehr zu spät und mit zu wenigen gegen Menschenfeindlichkeit vorgehen. Er engagiere sich gegen den vermeintlichen Anspruch der völkischen Rechten auf das christliche Abendland: "Das ist wirklich frecher Etikettenschwindel. Blut und Boden hat mit dem Reich Gottes überhaupt nichts zu tun. Die Vergötterung des eigenen Volkes ist Gott ein Gräuel und ist finsterer Götzendienst."
ÖKT hatte am Donnerstag begonnen
Das überwiegend digitale Christentreffen der beiden großen Kirchen hatte am Donnerstag mit einem Gottesdienst begonnen. Bis Sonntag bietet der Kirchentag rund 100 meist digitale Veranstaltungen. Zudem gibt es bundesweit 300 dezentrale Angebote. Die meisten Podien und Foren finden am Samstag statt. Erwartet werden dann neben Kanzlerin Angela Merkel ihre drei möglichen Nachfolger Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird auch am 16. Mai vor dem Open-Air-Schlussgottesdienst auf der Weseler Werft vor Ort sprechen, wie der Kirchentag mitteilte.
Merkel und Neubauer über Klimaschutz
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) diskutiert mit der "Fridays-for-Future"-Aktivistin Luisa Neubauer und anderen über den Klimaschutz. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) spricht mit Vertretern von Hilfsorganisationen über die soziale und medizinische Versorgung Südamerikas, Afrikas und des Nahen Ostens.
Erstmals kommt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu einem Christentreffen nach Deutschland und diskutiert mit Friedensforschern über "Friedenssicherung in einer unsicheren Welt". Alle drei Veranstaltungen werden voraufgezeichnet und stehen am 15. Mai auf "oekt.de" zur Verfügung.
Weitere Spitzenpolitiker sind bei der Veranstaltung "Wer zahlt die Rechnung der Corona-Pandemie?" zu erleben, an der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz neben Teilnehmern aus Wohlfahrtspflege, Wirtschaft und Wissenschaft am 15. Mai im Livestream auf "oekt.de" teilnimmt.
Corona-Pandemie und Klimakrise
An einer Diskussion über die Corona-Pandemie als Herausforderung für ein solidarisches Europa nehmen unter anderen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die französische Publizistin und Politikerin Sylvie Goulard neben Kirchenvertretern im Livestream teil.
Die Grünen-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock beteiligt sich an einem Gespräch mit dem Sozialethiker Johannes Wallacher und der Konzernchefin Marie-Luise Wolff über Wege aus der Klimakrise, hiervon wird eine Aufzeichnung online veröffentlicht. Der CDU-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet stellt sich im Kirchentags-Studio Fragen zum Thema Wirtschaft und Finanzen.
Der Ökumenische Kirchentag wird veranstaltet vom Deutschen Evangelischen Kirchentag und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Nach 2003 in Berlin und 2010 in München findet der Ökumenische Kirchentag 2021 zum dritten Mal statt.