Cusanuswerk zum Fall Schavan

"Das ist eine schwere Beschädigung!"

Annette Schavan war vier Jahre lang Leiterin der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk. Die derzeitige Generalsekretärin Dr. Claudia Lücking-Michel spricht im domradio.de-Interview über den Fall Schavan.
 

 (DR)

domradio.de: Hatten Sie diese Entscheidung aus Düsseldorf so erwartet?
Dr. Claudia Lücking-Michel: Jedenfalls nicht gestern Nachmittag. Ich habe damit gerechnet, dass die Fakultät sich auf irgendwelche weiteren Verfahrensschritte einigt. Ein weiteres Gutachten und eine weitere Prüfung. Dass sie gestern schon zu ihrem Votum gekommen sind, damit habe ich nicht gerechnet.

domradio.de: Noch dazu ein klares Votum: 12:3.
Dr. Lücking-Michel: Damit habe ich auch nicht gerechnet.

domradio.de: Was sagt das über die deutsche Gesellschaft aus, wenn schon quasi in der Führungsebene ‑ also im Kabinett ‑ von 16 Leuten zwei ihre Doktorarbeit nicht auf ehrliche Art und Weise erhalten haben? So lautet ja der Vorwurf …
Dr. Lücking-Michel: Ja, damit sind wir auch gleich mitten in dem Problem, dass beide Fälle – Guttenberg und Schavan ‑ jetzt immer gleich behandelt und diskutiert werden. Schon ein erster Blick auf die Arbeiten zeigt, dass wir von Vorwürfen ganz unterschiedlicher Qualität sprechen. Es ist ja schon ein Unterschied, ob ich einfach verschiedene Texte hintereinander kopiere und die als meine Arbeit ausgebe oder ob es sich um falsche und fehlerhafte Zitationen handelt, die Schavan nachgewiesen werden, bei der es sich aber insgesamt um eigene Texte und viel, viel eigene Denkleistung handelt. Und das jetzt 1:1 gleichzusetzen, finde ich ein bisschen schwierig. Ich kann Frau Schavan verstehen, wenn sie sagt, sie wolle ihr Recht wahrnehmen und dagegen klagen und die Entscheidung anfechten, weil so deutlich, wie das jetzt in der Öffentlichkeit scheinbar ‘rüberkommt, so klar war das Verfahren nicht und so klar sind auch die Vorwürfe nicht, die man Schavan machen kann.

domradio.de: Zur Verteidigung heißt es jetzt: Man müsse die Arbeit im Kontext ihrer Entstehungszeit bewerten. Was war beim korrekten Zitieren vor 30 Jahren anders als heute?

Dr. Lücking-Michel: Natürlich galt auch schon vor 30 Jahren, was wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, wie man korrekt zitieren muss und dass man keine Zitate und Texte anderer Leute übernehmen darf, ohne sie kenntlich zu machen. Das wäre jetzt ganz falsch zu behaupten, dass man das früher anders gehen habe. Aber zwei Dinge gebe ich zu bedenken: Das eine ist – auch wenn die Düsseldorfer sich da heftig gegen wehren ‑, dass es, wie alle wissen, die im Geschäft sind, unterschiedliche Fachkulturen und Standards gibt. Jeder weiß, dass eine medizinische Promotion in ihrer wissenschaftlichen Leistung und ihren Ergebnissen nach anderen Maßstäben zu bemessen ist als Promotionen in anderen Fächern. Und ähnlich gibt es auch da ganz unterschiedliche Fachkulturen. Ich würde gern einmal die Promotionen all der Jahre damals in der Pädagogik nebeneinanderlegen und mit den gleichen Maßstäben messen wie die Arbeit von Frau Schavan und sehen, was da noch übrig bleibt. Und das andere, was Fehler nicht entschuldigt und nicht besser macht, ist – und das muss man sich einmal vor Augen führen ‑, dass man damals aus seinen Notizen heraus und mit dem Zettelkartekasten abends an der Schreibmaschine gesessen und Seite um Seite getippt hat. Das ist keine Entschuldigung, um zu schummeln und Zitate ohne Kenntlichmachung zu verwenden, das ist vollkommen richtig, aber die Arbeitssituation war eine ganz andere und auch der Aufwand, etwas zu korrigieren oder den Satz ordentlich zu Ende zu bringen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihren Hörern ihre Arbeit wirklich noch mit der Maschine geschrieben haben und wissen, wie das war. Damit verlangten gute Arbeiten immer noch nach perfekter Zitation, aber man kann sich daran erinnern, wie schwierig und anders das Arbeiten damals war.

domradio.de: Kann man denn dann sagen, dass man vor 30 Jahren andere Maßstäbe an eine Doktorarbeit angelegt hat als heute? Speziell in der Pädagogik?

Dr. Lücking-Michel: Ich selbst bin keine Pädagogin und kann mich da jetzt gar nicht im Detail weiter vorwagen. Aber aus meiner Fachkultur kann ich sagen: Natürlich gibt es andere Maßstäbe. Natürlich gibt es da auch zeitgemäße Tendenzen, was man als Leistung für eine Promotion erwartet und mit welcher Note man das honoriert. Das bezieht sich jetzt nicht darauf, dass man früher mehr schummeln durfte als heute oder anders zitieren musste. Aber das, was als Leistung erwartet wird, das verändert sich. Und da gibt es Fachkulturen und zeitgemäße Ansprüche.

domradio.de: Wenn wir noch einmal auf die Entscheidung von gestern blicken: Wie sehr ist eine Geisteswissenschaftlerin geschädigt, wenn der Fakultätsrat einer Universität entschieden hat, dass sie die Doktorarbeit erst durch „vorsätzliche Täuschung“ - wie es in der Begründung der Uni Düsseldorf heißt - erhalten hat?

Dr. Lücking-Michel: Das ist eine schwere Beschädigung! Das ist eine schwere Beschädigung der Arbeit als solcher und natürlich auch der Person von Annette Schavan. Das würde für jede Doktorandin und jeden Doktoranden gelten. Im Fall von Frau Schavan hat es natürlich auch noch besondere Auswirkungen auf ihre Position, da ist nicht nur der Titel weg … Ich habe es außerordentlich bedauert, als ich gestern von diesem Votum erfahren habe.

domradio.de: Nun sagen ganz viele, zum Beispiel die Opposition: Ein Land, das sich Wissenschaftsstandort nennt, kann es sich nicht leisten, eine Bildungsministerin zu haben, deren Doktortitel aberkannt wurde. Wie sehen Sie das?

Dr. Lücking-Michel: Wenn dieses Votum gerichtlich bestätigt werden sollte, halte ich es auch für schwierig, dass sie weiter Bundesministerin bleiben würde. Aber ich verstehe auch, wenn sie von einer Anfechtung und einem Revisionsantrag spricht und die Vorgänge rund um das Verfahren und um die Prüfung auf den Prüfstand stellen möchte. Wir haben doch hier wieder ganz offensichtlich die Situation, dass hier Leute gleichzeitig Mitangeklagte und Betroffene sind und über den Fall entscheiden müssen. Denn gestern ging es auch um das Renommee des wissenschaftlichen Anspruchs der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Düsseldorf. Und wenn Pädagogen, die vor 30 Jahren ihren Doktor gemacht haben, heute den Fall diskutieren, haben die auch ihre eigenen Interessen im Blick – das ist in Ordnung, das muss man in einem solchen Fall auch ‑, aber dann kann man nicht gleichzeitig Richter und Entscheider sein. Da hätte ich mir eine Verfahrensordnung gewünscht, die vorsieht, das Dritte entscheiden, dass es unabhängige Personen gibt und dass das viel deutlicher voneinander getrennt wird.

domradio.de: Hätte der Rat ein weiteres externes Gutachten einholen müssen?

Dr. Lücking-Michel: Mehr als das! Es wurden ja Gutachten eingeholt, aber vom ganzen Ablauf her fand ich das Verfahren nicht in Ordnung, unterirdisch dann auch noch in der Durchführung. Wenn die Ergebnisse von Gutachten in der Öffentlichkeit bekannt sind, bevor das Gremium und die Betroffene von ihnen Kenntnis haben, dann desavouiert sich doch das ganze Gremium damit, oder?

Das Interview führte Stephanie Gebert.