Warum sich der Richtungsstreit in der Kirche ausweitet

"Da stoßen Reflexe aufeinander"

Im Vorfeld des Missbrauchs-Gipfels im Vatikan wird in Deutschland öffentlich gestritten. Es geht allerdings weniger um Missbrauch als um Zölibat und Ausrichtung der Kirche insgesamt. Zu beobachten sind zwei Lager, die nicht mehr miteinander reden.

Symbolbild Priesterweihe / © Corinne Simon (KNA)
Symbolbild Priesterweihe / © Corinne Simon ( KNA )

DOMRADIO.DE: Nicht erst seit Veröffenlichung der Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" (MHG-Studie) wird in Deutschland über die Ursachen von Missbrauch und weitreichende Konsequenzen gestritten. Manche Stimmen fordern quasi einen kompletten Neuanfang für die Kirche. Solchen Forderungen hat Kardinal Woelki jüngst in einem Interview eine klare Absage erteilt. 

Dr. Werner Kleine (Pastoralreferent in Wuppertal): Wir können 2.000 Jahre nach dem Grund unseres Glaubens, Kreuzestod und Auferstehung, nicht einfach alles neu bauen. Das würde alleine schon bedeuten, dass Menschen in anderen Zeiten möglicherweise falsch geglaubt hätten. Das wäre nicht katholisch.

DOMRADIO.DE: Bedeutet nicht neu bauen zu können, denn dann Stillstand?

Kleine: Es gibt ein biblisches Wort des Paulus im ersten Korintherbrief: "Wir sind wie Baumeister, die auf dem Grund weiterbauen." Ein Grund ist gelegt, nämlich Jesus Christus. Darauf bauen wir weiter. Wir müssen also nicht neu bauen. Wir müssen weiter bauen in diesem biblischen Sinn. Wenn man an einem Haus immer weiter baut, dann wird irgendwann die Statik eines solchen Gebäudes etwas fragil. Das ist der Kirche im Laufe der Kirchengeschichte auch immer wieder passiert, dass Dinge plötzlich instabil wurden und man dann entsprechende Maßnahmen ergreifen muss.

Solche Maßnahmen können sein, dass man neue Stützen einbaut. Solche Maßnahmen können auch sein, dass man manches, was hinzugekommen, aber nicht wesentlich ist, aber in seiner Zeit vielleicht auch Bedeutung hatte, zurückbaut, um an einer anderen Stelle weiter zu bauen.

In dem Sinne gebe ich dem Kardinal Recht. Neu zu bauen, das geht auf gar keinen Fall. Aber wir müssen natürlich schon schauen, wie wir in der heutigen Zeit an der Kirche weiterbauen. Allerdings dürfen wir auch keine Luftschlösser bauen, da sehe ich momentan die Gefahr.

DOMRADIO.DE: Viele Kritiker sagen ja, wenn erst einmal der Zölibat abgeschafft sei und wenn Frauen Priester werden dürften, seien alle Probleme gelöst.

Man muss diese beiden Dinge, die immer in einem Atemzug genannt werden, noch mal unterscheiden. In Sachen Frauenpriestertum haben die letzten Päpste mehrfach betont, dass diese Tür zu sei. Das ist wie bei einer Mauer, wenn da eine Mauer steht, dann kann ich natürlich mit dem Kopf immer wieder gegen rennen und sagen: Ich will aber hier durch. Das wird außer Kopfschmerzen und Enttäuschung nicht viel bringen. Da muss man dann komplett andere Wege suchen: Eine Leiter nehmen, einen anderen Durchgang finden.

Beim Zölibat handelt es sich um eine ganz andere Frage, weil sie dogmatisch nicht in diesem Rang ist. Es gibt ja die große Diskussion: Ist da diese Anmerkung Johannes Pauls II. unfehlbar oder nicht? Das müssen die Kirchenrechtler beantworten. Es ist aber eine andere Geschichte, weil wir in den ersten 1000 Jahren der Kirche verheiratete Priester hatten und weil wir das auch in den Kirchen des Ostens kennen, die mit Rom uniert sind. Diese Frage kann man also diskutieren. Aber ob sie die Probleme der Kirche löst? Ich habe große Zweifel, ob jetzt die Aufhebung des Zölibats dazu führen würde, dass mehr Menschen zu Christus finden und dass die Kirche wächst. Manche Fragestellung und Kritik wäre dadurch vielleicht erledigt, viele andere Fragen würden aber bleiben. Die wesentlichen Fragen würden damit nicht beantwortet.

DOMRADIO.DE: Der vormalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Müller, meldet sich zu diesen Fragen auch immer wieder zu Wort. Für ihn scheint die Homosexualität unter Priestern die Hauptursache für Missbrauch zu sein.

Kleine: Natürlich hat Kardinal Müller das Recht, seine Meinung wie jeder andere Mensch zu äußern. Die Frage ist: Müssen wir als Kirche jetzt permanent auf die Äußerungen des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation eingehen, wie es jetzt der Fall ist? Es ist erst mal eine Einzelmeinung, die in diesem speziellen Fall in meinen Augen auch nicht sonderlich reflektiert erscheint. Das ist meine persönliche Meinung dazu. Aber es sind natürlich bestimmte Reflexe zu beobachten. Auf der einen Seite haben wir die Reflexe derer, die auf der vermeintlich progressiven Seite sind. Auf der anderen Seite haben wir reizreaktive Reflexe derer, die sagen: Da ist endlich einer, der die Tradition bewahrt. Dazwischen ist ein großer tiefer Grund. Diese beiden Seiten reden nicht miteinander. Aber wem nützt das?

Ich hätte jetzt einfach gesagt: Gut, da äußert jemand eine Meinung. Die halte ich biblisch für gewagt. Ich gehe mal davon aus, dass Kardinal Müller beim Schöpfungsakt Gottes persönlich nicht dabei war und nicht wirklich weiß, was Gott sich dabei gedacht hat, dass es Homosexuelle auf dieser Erde gibt. Es wäre eine Gelegenheit zum Schweigen in dieser Frage gewesen. Die hat er jetzt verpasst. Ich persönlich glaube, dass er an dieser Stelle irrt. Aber er ist ja Gott sei Dank nicht unfehlbar.

DOMRADIO.DE: Am Donnerstag beginnt in Rom der Gipfel, den der Papst zum Missbrauchsskandal einberufen hat. Kirchenreformern wird jetzt vorgeworfen, dass Sie den Missbrauchsskandal instrumentalisieren, um ihre Reformziele durchzusetzen. Was sagen Sie dazu?

Kleine: Das ist natürlich ein rhetorisches Spielchen, was da stattfindet. Es wird jetzt vom Missbrauch des Missbrauchs geredet. Ich könnte vom Missbrauch des Missbrauchs des Missbrauchs reden. Jetzt können wir bis in alle Ewigkeit so weitermachen. Das ist natürlich albern. Die Missbrauchsdebatte ist so wesentlich und so essentiell, weil die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert ist, dass es mich verwundert, dass manche, die auf den Zinnen der Kirche zu stehen scheinen, diese Erschütterung noch gar nicht wahrgenommen haben. Ich möchte fast sagen: Rom muss jetzt liefern. Ob die Zusammenkunft in Rom tatsächlich liefert, das kann jetzt noch keiner absehen.

Die Erwartungshaltung ist dermaßen hoch. Wenn da jetzt aus Rom nur ein heißes Lüftchen kommt, wird es sehr schwierig werden, in den gegenwärtigen Zeiten das Evangelium noch glaubwürdig verkünden zu können. Im Jakobusbrief steht, es reiche eben nicht nur beten, sondern es muss gehandelt werden. Ein Glaube ohne Werke, sagt Jakobus, ist tot. Diese Werke, diese Taten müssen jetzt folgen, wenn wir auch nur den Hauch von Glaubwürdigkeit wiederherstellen wollen.

Das Interview führte Julia Reck.

Hinweis: Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent und Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im Stadtdekanat Wuppertal. Er schreibt hier zum Thema.


Dr. Werner Kleine / © Christoph Schönbach (privat)
Dr. Werner Kleine / © Christoph Schönbach ( privat )
Quelle:
DR