Kopftuchverbot für österreichische Grundschulkinder

"Da werden die Gerichte noch viel Freude haben"

Österreich untersagt das Tragen von Kopftüchern für Grundschulkinder. Andere Kopfbedeckungen wie die Kippa bleiben erlaubt. Der Theologe Thomas Lemmen über das neue Gesetz und einen vergleichenden Blick nach Deutschland.

Schülerin mit Kopftuch / © Andre Zelck (KNA)
Schülerin mit Kopftuch / © Andre Zelck ( KNA )

DOMRADIO.DE: Mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ hat Österreichs Parlament ein Kopftuchverbot für Grundschulkinder beschlossen. Wie ist das im Islam? Müssen da kleine Mädchen überhaupt Kopftuch tragen?

Prof. Thomas Lemmen (Theologe beim Referat für Interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln): Alle Regeln der islamischen Religion sind erst ab Eintritt der Pubertät verpflichtend. Fasten, Beten oder auch Bekleidungsvorschriften sind erst dann einzuhalten, wenn ein Kind die Pubertät erreicht hat.

DOMRADIO.DE: Es wird gesagt, dass sich dieses Verbot speziell gegen den extremen politischen Islam richte, also gegen Fundamentalisten, die ihren Kindern Kopftücher überstülpen würden. Ist da was dran?

Lemmen: Es gibt eine Untersuchung der Deutschen Islamkonferenz, die schon einige Jahre her ist. Dieser Studie zufolge ist das Tragen des Kopftuchs sehr stark von der Herkunftsregion, vom Alter und von der persönlichen Ausrichtung geprägt. Zum Beispiel tragen ältere Frauen, die aus dem Nahen Osten stammen und streng religiösen Gruppierungen angehören, häufiger Kopftuch als junge Frauen aus dem Iran.

Diese Untersuchung hatte weiter zum Ergebnis, dass damals nur 2,5 Prozent der Mädchen unter zehn Jahren ein Kopftuch getragen haben. Es kann aber sein, dass sehr streng orthodoxe, konservative Muslime die Pflicht das Kopftuch zu tragen, bewusst in frühe Lebensjahre vorverlegen. Man hat in diesen Kreisen, wie beispielsweise bei den Salafisten, tatsächlich die Vorstellung: Je früher das Kopftuch getragen wird, desto besser.

DOMRADIO.DE: Die jüdische Kippa soll aber in Österreich in Grundschulen erlaubt bleiben. Wird denn da nicht mit zweierlei Maß gemessen?

Lemmen: Das wird in der Tat sehr schwierig, die eine Kopfbedeckung von der anderen zu unterscheiden. Ich kann mir auch Typen oder Formen des Kopftuchs vorstellen, die nur die hintere Hälfte des Kopfes bedecken, wie das beispielsweise im Iran oder in Südostasien üblich ist. Soll das dann erlaubt oder verboten sein? Da werden die Gerichte noch viel Freude haben.

DOMRADIO.DE: Nun sagen die Gegner des Gesetzes, es sei destruktiv und desintegrativ. Ist da etwas dran?

Lemmen: Ich bin der festen Überzeugung, dass man mit Verboten wenig an extremen Einstellungen ändern kann. Ich halte das Verbot auch für falsch. Und ich glaube, dass man damit dem Problem nicht beikommen kann. Selbst wenn in der Schule kein Kopftuch getragen werden darf, dann wird es eben zu Hause oder auf dem Schulweg getragen. Ich glaube nicht, dass man damit wirklich auf Dauer etwas erreichen kann.

DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation in Deutschland? Dürfen Mädchen in den Grundschulen Kopftücher tragen?

Lemmen: Es ist so, dass es in Deutschland kein Kopftuchverbot für Schülerinnen gibt. Es gibt Kopftuchverbote lediglich für Bedienstete im öffentlichen Dienst, nicht jedoch für Schülerinnen. Und ich weiß auch nicht, ob man das Beispiel anderer Länder unbedingt nachahmen muss. In Deutschland ist das - anders als in Österreich - eine Angelegenheit der Länder, nicht des Bundes. Da hätte man dann unter Umständen 16 unterschiedliche Regelungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mehr Dialog und mehr Gespräche mit den Eltern brauchen statt gesetzlicher Regelungen, die Einschränkungen bedeuten und die letztlich auch verfassungsrechtlich umstritten sind.

DOMRADIO.DE: Was hält denn die Kirche vom Kopftuchverbot in Grundschulen? Gibt es dazu eine Stellungnahme?

Lemmen: Es gibt dazu bisher keine Stellungnahme. Die katholische Kirche tritt jedoch für die Geltung des Grundrechts der Religionsfreiheit ein. Religionsfreiheit kann sowohl das Recht umfassen, ein Kopftuch zu tragen, als auch das Recht, keines zu tragen. Beides wird durch die Religionsfreiheit abgedeckt.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR