"Der Friede findet im eigenen Herzen statt." Nötig sei die Überwindung des Egoismus und die Bereitschaft zum "Dialog des Geistes". Die unbedingte Friedfertigkeit gelte auch für den Irak und Syrien, sagte das geistliche Oberhaupt der Tibeter. Scharf kritisierte er die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Wer im Namen Allahs töte, dürfe sich nicht Muslim nennen. Auch bei militanten Kämpfern jeder Spielart liege eine Form von Egoismus vor, die in nichtakzeptable Aggression münde.
Dennoch hat der Friedensnobelpreisträger wenig Hoffnung auf ein baldiges Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten. "Die Gefühle sind außer Kontrolle geraten", sagte er. Menschen könnten zwar zu einem gewaltfreien und friedlichen Miteinander finden. Doch sei dies nur langfristig und durch umfassende Erziehung möglich. "Ich erwarte keine großen Veränderungen in unserer Generation. Aber die Zukunft liegt in unserer Hand."
Die Krisen der Welt sind nach Ansicht des Dalai Lama nur mit einer "Ethik der Warmherzigkeit" zu überwinden. Darunter sei ein "Interesse am Wohlergehen anderer Menschen" zu verstehen. Es sei eine Ethik, die Menschen als Brüder und Schwestern betrachte, und in der Mitgefühl, Gewaltlosigkeit, Toleranz und Vergebung im Mittelpunkt stehe. Das sei ein "über alle Religionen hinweg gültiges Wertesystem", sagte er weiter. Darin komme Frauen eine besondere Bedeutung zu. Denn Frauen seien von Natur aus mit mehr Mitgefühl und Liebe ausgestattet als Männer.
Proteste einer fundamentalistisch-buddhistischen Gruppierung
Sein Besuch in Hamburg wird begleitet von lautstarken Protesten einer fundamentalistisch-buddhistischen Gruppierung. Die "International Shugden Community" (ISC) wirft dem Dalai Lama Menschenrechtsverletzungen vor. "In den buddhistischen Klöstern kommt es zu gewaltsamen Übergriffen gegen Anhänger des Dorje-Shugden", sagte Annette Mai, eine Sprecherin des ISC. Shugden-Praktizierende würden ausgegrenzt und verfolgt. Der ISC zufolge verehren weltweit vier Millionen Menschen den buddhistischen Schutzgeist.
Der Dalai Lama hält den jahrhundertealten Glaubens-Kult, den er selbst eine Zeit lang praktiziert hat, hingegen für schädlich. Viele Probleme der tibetischen Exilgemeinschaft seien auf dessen Anhängerschaft zurückzuführen, sagte er. "Ich habe die Anhänger gebeten, nicht mehr zu praktizieren. Ob sie sich daran halten, liegt in ihrer Verantwortung."
Der Dalai Lama ist auf Einladung des Tibetischen Zentrums Hamburg bis zum 26. August in der Hansestadt. Auf dem Programm stehen Vorträge im Congress Centrum Hamburg und ein Besuch des Völkerkundemuseums. Themen seines sechsten Hamburg-Besuches sind nach Angaben des Tibetischen Zentrums säkulare Ethik, der interreligiöse Dialog und Frauen im Buddhismus.