Das chinesische Qigong zieht in Klöster ein

Sensibel für den leisen Anruf Gottes

Nicht erst durch Bundesligatrainer Ralf Rangnick, der seine Burnout-Erkrankung auch dank Qigong besiegt hat, ist die aus China stammende Praktik bekanntgeworden. Längst hat die Entspannungs- und Bewegungstechnik hierzulande flächendeckend Einzug gehalten: in Wellness-Oasen, Sportvereinen – und Klöstern.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

"Die Arme steigen lassen - zum Himmel schauen!" 17 Menschen heben langsam die Hände, taxieren kurz die Frühlingssonne. "Die Mitte wahrnehmen", sagt der Mann im schwarzen Trainingsanzug mit sanfter Stimme. Und alle folgen. Denn die Männer und Frauen zwischen Mitte 30 und 70 fördern hier in ernsthafter Arbeit ihre Lebensenergie. Zu "Deutsch": Qigong.



Wie in Deutschlands nördlichstem Benediktinerkloster Nütschau nahe dem schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe, wo Hans Martin Lorentzen seit 2005 Qi Gong anbietet. Die Kurse des 38-Jährigen sind fast immer ausgebucht. So wie diese Woche, zu der sich sieben Männer und neun Frauen angemeldet haben: Von der Lehrerin über den Dreher bis zum evangelischen Pastor, von der Sekretärin über die Sozialarbeiterin bis zum pensionierten Beamten. Was sie beim Qigong suchen? Ausgleich für "zu viel Beruf, zu wenig Privatleben", sagt die 52-jährige Zahnärztin Anne in der Kennenlernrunde. "Anleitung, wieder zu mir selbst zu finden", drückt es die Journalistin Caro aus. Den Steuerberater Bernd, 44, lässt die Verantwortung für Betrieb und Familie nachts nicht schlafen. Vom Qigong erhofft er sich praktische Tipps fürs Abschalten. Und hier und da fallen im Laufe der fünf Tage Worte wie "Depression" und "Burnout".



Bewusstes Hören auf den eigenen Körper

Auch Hans Martin Lorentzen, verheirateter Vater von zwei kleinen Söhnen, sind solche Begriffe nicht fremd. Nach seinem Architekturstudium steckte er 1998 in einer tiefen Depression. Eher durch Zufall machte er einen Qi-Gong-Kurs im Kloster Dietfurt im Altmühltal mit - und war völlig begeistert. "Alle Symptome waren viel besser oder ganz verschwunden", schwärmt der schmale Mann noch heute. Daraufhin war sein Weg klar: Er ließ sich zum Qigong- und Tai-Chi-Lehrer ausbilden. In rund 70 Kursen "Qigong im Kloster" hat er bereits Hunderte Menschen "trainiert". Die geführten, fließenden Bewegungen kann praktisch jeder mitmachen, gleich wie alt oder wie sportlich.



Namen aus der Natur beflügeln die Fantasie der Teilnehmer. Bei den Übungen, die vor allem auf langsamen Arm- und Beinbewegungen, dem Drehen der Taille und dem Verlagern des Gewichts basieren, wird der "Affe abgewehrt", die "Sonne aus dem Meer geholt", das "Seegras in der Woge" nachgeahmt und der "Mond angeschaut". Zentraler Begriff ist Achtsamkeit, das bewusste Hören auf den eigenen Körper und die Energie, die zwischen Himmel und Erde durch ihn hindurchfließt. "Körpergebet" nennt Lorentzen das. Denn: "Durch bestimmte Haltungen finde ich für mich eine Verbindung zu Gott", sagt der Katholik, für den Qigong auch einen Neuanfang in seinem christlichen Glauben markierte.



"Sensibel werden für den leisen Anruf Gottes"

Ihm ist wichtig, dass die Kursteilnehmer auch das Klosterleben kennenlernen, etwa die Gebetszeiten der Mönche mitmachen. So eilen viele nach der morgendlichen Übungs-Einheit zum Mittagsgebet um 11.45 Uhr, feiern Vesper und Gottesdienst um 17.30 Uhr mit und schließen den Tag mit der Komplet um 21 Uhr ab. Nicht wenige sehen hier erstmals ein Kloster von innen. Vielleicht auch deshalb öffnen die Mönche gerne ihre Türen für Qigong.



"Die meisten Menschen kommen ins Kloster, um Gott zu suchen - ob ihnen das nun bewusst ist oder nicht", sagt Pater Willibrord Böttges, Leiter des Bildungshauses Sankt Ansgar im Kloster Nütschau. Als erste Schritte zur Gottsuche nennt er, den Alltagstrott zu unterbrechen, still zu werden, mit sich selbst in Kontakt zu kommen, achtsam zu werden. All dies sei auf vielerlei Weise möglich, auch durch Qigong. "Warum sollten wir diese alte chinesische Technik also nicht in unserem Kloster anbieten?", fragt der Benediktinerpater. "Nach meiner Erfahrung kann dies für viele Menschen eine gute Hilfe sein, um sensibel zu werden für den leisen Anruf Gottes."