DOMRADIO.DE: Sie sind Professor für Pastoraltheologie an der Ruhruniversität in Bochum und moderieren den Late Night Talk "Sellmanns Guter Abend", ein neues Sendeformat für TV und social media, deren Pilotsendung am 15. Oktober in Köln aufgezeichnet wird. Müssen wir in Zeiten einer religiösen Selbstbestimmung der Menschen Gott neu plausibel machen?
Prof. Matthias Sellmann (Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum und Gastgeber von "Sellmanns Guter Abend"): Ja, das glaube ich schon, wenngleich das theoretischer klingt, als ich es meine. Denn viele Leute fragen sich: "Gibt's da was?" Viele Leute ahnen, dass sie sich irgendwie dazu verhalten müssen, dass es eine Welt gibt, dass es sie gibt, es andere Menschen gibt, die auch anders sind als sie.
Genau betrachtet, sind wir alle irgendwie weltanschaulich unterwegs und manche davon - und das sind dann Christinnen und Christen aber eben auch Muslime oder Hindus, Juden usw. - haben eine explizite Gottesvorstellung und haben auch eine Erfahrung dahinter. Und das Schöne ist, dass man sich jetzt austauschen kann.
Was erlebt jemand, der explizit und von seiner Erfahrung her an Gott glaubt? Und was erlebt jemand, der von Gott nicht überzeugt ist, der auf anderer Suche ist, und der auch dem, der an Gott glaubt, ein paar Dinge mit auf den Weg geben kann, die dieser beachten sollte.
DOMRADIO.DE: Aber müssen wir nicht noch viel niederschwelliger ansetzen? Wie können wir Gott plausibel machen, wenn viele Menschen sagen, es geht eigentlich auch ohne. Kinder oder andere Lebenszusammenhänge sind für viele anscheinend ausreichend für den Sinn im Leben.
Sellmann: Ich habe großen Respekt davor, wenn jemand auf und in sein Leben schaut und seine Schlüsse zieht. Das sind ja intelligente Menschen, mit denen man es zu tun hat. Man darf nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, solche Menschen seien oberflächlich oder hätten irgendwie den religiösen Schuss nicht gehört. Denn es sind doch offensichtlich Lebenserkenntnisse, die ich sehr ernst nehme.
Wenn jemand sagt, über Kinder, Familie, aber auch über eine politische Einstellung bekomme er eigentlich genug Sinninformationen und könne mit solchen Sinnbedeutungen gut leben, dann ist doch der Austausch interessant darüber, warum manche Menschen in ihrem Leben auf Gott gestoßen sind und andere nicht.
Man sollte dann dem anderen nicht sagen, ihm fehle etwas ohne Gott. Wir sollten uns auf eine Augenhöhe begeben: Wir sind doch alle Menschen auf Bedeutungssuche, die alle eine Sinnvorstellung und beglaubigende Sinnerlebnisse suchen. Und da interessiert mich einfach, was der andere gefunden hat.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt da nun die Kirche? Sie steckt in einer massiven Glaubwürdigkeitskrise nach dem Skandal um sexualisierten Missbrauch und dessen jahrzehntelanger Vertuschung. Muss die Kirche nicht erst einmal Vertrauen zurückgewinnen, um dann glaubwürdig von Gott zu reden? Wie kann man diese Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?
Sellmann: Wenn die katholische Kirche nicht sehr deutlich, sehr strukturell und sehr glaubwürdig die Schritte unternimmt, die die Wahrscheinlichkeit absinken lassen, dass sich in ihren Reihen kriminelle Handlungen vollziehen, brauchen wir über alles andere überhaupt nicht ins Gespräch kommen. Das muss man klar sagen.
Der Ball liegt jetzt zunächst beim Synodalen Weg, bei den einzelnen Diözesen, der Bischofskonferenz, beim Papst, der Kurie und bei der Amazonas-Synode.
DOMRADIO.DE: Aber Sie nehmen den Ball auch auf und gehen einen anderen Weg an die Öffentlichkeit. Sie wollen ein neues Talkshowformat etablieren.
Sellmann: Ja, in der Tat. Ich will über mentale Kraft sprechen, über Gottesglauben und über Leidenschaft. Ich will darüber reden, was Leute erleben, die sozusagen den Mut haben, ihrem Glauben zu glauben.
Aber: Dies ist nicht zu verstehen als eine Kompensation oder irgendwie als Ausweichmanöver, um sich an den erwähnten strukturellen Dingen vorbeizumogeln. Die müssen sein. Die Glaubwürdigkeit unserer Gottesrede hängt daran, ob wir diese Schritte als Kirche unternehmen und ob wir es schaffen, die Glaubwürdigkeit und die Aufmerksamkeit der Menschen in Deutschland zurückzugewinnen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen in Ihrer Sendung denn die Diskussionen um den Zölibat und das Amt für Frauen? Wird das alles in der aktuellen Debatte nicht auch überbewertet? Schließlich hat die evangelische Kirche mit ihren Pastorinnen und verheirateten Pastoren ähnliche Problem wie die katholische.
Sellmann: Wie gesagt: Diese Themen müssen geklärt werden. Ihr Hinweis auf die evangelische Kirche führt aber in die Irre: Denn, ich wiederhole mich: Es geht in den aktuellen Debatten nicht um irgendwelche dogmatische Zugeständnisse, institutionelle Finessen, geschickte Krisenkommunikation oder das Kopieren oder Nicht-Kopieren der Strategien anderer. Wer so denkt, hat die Tiefe der Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche schlicht noch nicht erfasst.
Diese liegt darin, dass gegenwärtig nicht wie früher Kriege, Krankheiten oder Klimakatastrophen den vertrauensvollen Zugang in den Gottesglauben verdunkeln, sondern das Handeln der Kirche selbst, und zwar vor allem der katholischen – und zwar dort, wo innerkirchlich anscheinend externe, theologische oder bürokratische Geltungsansprüche wichtiger zu sein scheinen als der moralische Gehalt von Demokratie, Menschenrechten, Anti-Diskriminierung und Kriminalitätsvorbeugung.
Das ist die Situation, die wir gerade haben: Die katholische Kirche selbst irritiert die Menschen massiv und sie selbst steht dem Gotteszugang der Menschen im Weg. Für unser Experiment "Sellmanns Guter Abend" heißt das: Dies sind zwar nicht die Themen, die wir da besprechen; denn es geht hier um die Kraft, vor der Welt nicht wegrennen zu müssen; um die Freude, aus seiner Komfortzone herausgehen zu können; und um die Kraft, die man erhalten kann, wenn die eigene am Ende ist.
Hinter, über und unter allem aber steht gegenwärtig, dass solche wertvollen Gespräche nur dann auch die Kirche als Glaubensraum wieder offenschließen, wenn diese sich ihre Legitimität bei den Menschen neu erwerben kann.
Das Interview führte Johannes Schröer.