DOMRADIO.DE: Auf dem Ökumenischen Kirchentag sind Sie am Samstag zu Gast in einer Online-Diskussion, die da heißt: "Weiße Kirchen. Warum unsere Kirchen so weiß dominierte Räume sind". Ist Rassismus tatsächlich auch ein Problem in der katholischen Kirche?
Pfarrer Regamy Thillainathan (Leiter der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln): Rassismus ist immer dann ein Problem, wenn man das gar nicht wahrhaben will. Deshalb ist es immer wichtig, in allen Gruppen und Gruppierungen, eigentlich überall, in jedem Haushalt dieses Thema auch immer wieder im Blick zu haben, um überhaupt Rassismus erst gar nicht die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Rassismus hat verschiedene Spielarten und Dimensionen, in denen er vorkommt und wir haben auch hier in Deutschland, in unserer deutschen Kirche mit Rassismus zu tun.
DOMRADIO.DE: Aber in welcher Form, wie tritt er auf?
Thillainathan: Rassismus tritt immer dann auf, wenn ich mich in meinem Denken über Menschen stelle, weil ich der Meinung bin, dass sie noch nicht so weit sind, wie ich es bin, was intellektuelle Möglichkeiten angeht, was vielleicht auch gesellschaftliche Entwicklung angeht, also wo ich mich in einem direkten Vergleich als etwas Besseres empfinde.
Diese Form von Rassismus ist auch in der Kirche weiter verbreitet, als man denkt. Das fängt schon damit an, dass sogenannte "People of Color" oder Schwarze ja in Deutschland immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass Menschen, die zum Beispiel nicht in Europa studiert haben, immer dem Vorwurf ausgesetzt sind, das sie ja nicht richtig studiert haben oder dass sie nicht so gut haben studieren können, wie wir es hier in Deutschland nun mal tun können.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie zum Beispiel in Rio studiert haben oder in Buenos Aires?
Thillainathan: Genau. Oder wenn sie zum Beispiel mit einem Abschluss aus Indien kommen oder einem Abschluss aus Togo, dann wird da immer direkt unterstellt: Na ja, das ist ja keine richtige Theologie, keine richtige Philosophie. Richtig im Sinne von: Die Qualität lässt da zu wünschen übrig, denn sie haben nicht die Möglichkeiten oder sie haben nicht das Denkvermögen, um da die deutsche Philosophie wirklich so gründlich studiert zu haben, wie wir es nun getan haben. Da fängt schon Rassismus für mich an.
DOMRADIO.DE: Haben Sie das auch in irgendeiner Form schon erlebt?
Thillainathan: Ich habe hier in Bonn studiert, daher war es natürlich noch mal was anderes. Ich hatte eine ganz andere Ausgangssituation vorliegen. Was ich aber schon festgestellt habe, als ich zum Beispiel aus Indien aus meinen Freisemestern zurückkam, ist, dass ich schon mit einigen Professorinnen und Professoren diskutieren musste, ob das, was ich dort gehört habe, inhaltlich hier anrechenbar ist oder nicht. Und das nicht, weil die Themen anders waren, sondern was die Qualität dieser Veranstaltungen anging.
DOMRADIO.DE: Was ist denn dann Ihre persönliche Antwort, wenn Kirchen immer noch - und das ist ja tatsächlich so - so weiß dominiert sind? Was muss denn da passieren - auch im Denken vor allem?
Thillainathan: Ich glaube, die erste und wichtige Grundlage für alles Tun und Aktivsein gegen Rassismus beginnt damit, überhaupt wahrzunehmen und zu akzeptieren, dass auch wir in der Kirche nicht vor Rassismus geschützt sind. Es ist total schwierig für uns als Christinnen und Christen, uns selber diesen Vorwurf gefallen zu lassen, dass wir auch in unseren eigenen Reihen Rassismus haben, weil wir uns ja so klar gesellschaftlich für die Würde und Rechte aller Menschen engagieren. Dann selber aber festzustellen, dass es in unseren eigenen Reihen vielleicht nicht immer auch genauso aussieht, wie wir es gerne hätten, das fordert von uns allen schon ein Umdenken und eine große Akzeptanz, was diese Realität angeht.
Das zweite ist: Es ist zu einfach zu sagen, die anderen müssen doch jetzt mal mehr gegen Rassismus tun. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich in verschiedenen Gruppierungen, Verbänden oder mit verschiedenen Gremien unterwegs bin. Da heißt es dann etwa: "Die Kirche muss sich grundlegend ändern" und "wir brauchen mehr schwarze Bischöfe" – und welche Themen auch immer kommen...
Das kann alles richtig sein. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber dann stelle ich immer die Frage: Wie sieht es denn bei Ihnen im Pfarrgemeinderat aus? Also es ist alles schön und gut, wenn wir in der Hierarchie schwarze Bischöfe haben, aber wie sieht es hier bei Ihnen vor Ort aus? Wieviele "People of Color" und auch schwarze Menschen in anderen Denominationen, die hier in der Gemeinde engagiert sind, prägen auch die Entscheidungen hier mit? Wie sieht es in den Jugendverbänden aus?
Eine Sache, die mir auch wirklich nachgeht, ist, dass jetzt beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Wahl der Einzelpersönlichkeiten stattgefunden hat. Im Vorfeld haben mehrere Leute, unter anderem Pater Nikodemus Schnabel, aber auch ich, Kontakt mit dem ZdK aufgenommen. Wir haben direkt, aber auch über die sozialen Medien noch einmal darauf hingewiesen, dass es wichtig wäre, wenn jetzt bei dieser Wahl auch "People of Color", Menschen mit anderen Migrationserfahrungen in diese Gremien hinein gewählt werden. Wir haben das eingefordert und es ist natürlich enttäuschend festzustellen, dass niemand aus dieser Gruppe hinein gewählt worden ist.
DOMRADIO.DE: Obwohl es Kandidaten gab?
Thillainathan: Man muss ja die Kandidaten selber vorschlagen. Das Gremium darf Kandidatinnen und Kandidaten vorstellen. Wir haben angemerkt und gebeten, das in den Blick zu nehmen und auch entsprechend vorzuschlagen. Es gab aber weder Vorschläge noch Leute, die gewählt worden sind. Das finde ich bitter. Und da denke ich, können wir uns dann nicht groß auf der gesellschaftlichen Bühne bewegen und sagen "Wir müssen Rassismus bekämpfen" und selber aber in unseren eigenen Reihen feststellen: Wir sind noch nicht so weit, wie wir gerne sein wollen.
Das Interview führte Martin Mölder.