Gazas Gesundheitswesen kämpft an vielen Fronten. Seit 2007 kontrolliert die Hamas den schmalen Landstrich. Seither riegelt Israel und teilweise auch Ägypten das Gebiet ab. Die anhaltende Blockade hat Krankenhäuser und medizinisches Personal schon lange an die Grenzen gebracht. Neben der Corona-Pandemie stellt die Versorgung der vielen Verletzten der jüngsten Kampfhandlungen das System zusätzlich auf die Probe. Mehrere Ärzte wurden bei den Luftanschlägen getötet, darunter der Leiter der Inneren Medizin am Al-Schifa-Krankenhaus, Ayman Abu al-Ouf, der die Pandemiebekämpfung koordinierte.
Schwer hebt sich der Brustkorb des älteren Patienten auf der einfachen Liege keine fünf Meter von der Eingangstür des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza. Erst vor wenigen Minuten kam das Testergebnis: Covid-19 positiv. Sauerstoff fließt durch die Maske. Sie soll ihm das Atmen erleichtern. Die Lunge des Patienten wird hier geröntgt, in der als Notaufnahme und Triage-Station dienenden Eingangshalle der größten medizinischen Einrichtung im Gazastreifen. Röntgenschutzkleidung oder Virenschutzanzüge sucht man vergeblich.
Mangel in der Pandemiebekämpfung
In jeder Hinsicht regiere in Sachen medizinischer Versorgung der Mangel, sagt Schadi Subhi Awad. Der Mediziner leitet die Covid-19-Notaufnahme von Al-Schifa. "Unser Normalzustand ist der Notstand. Wir sind immer noch mit der Versorgung hunderter Opfer der jüngsten Eskalation beschäftigt, und auch in der Pandemiebekämpfung herrscht Notstand", so Awad. Derzeit 41 Covid-Patienten hat das Krankenhaus. Während der Kämpfe mussten die Patienten verlegt und die Intensivstation für Operationen geräumt werden. Der Verlust, den der Tod Doktor Abu al-Oufs für Gaza bedeute, sei eine Katastrophe. Auch mehrere Kliniken und Gesundheitszentren wurden bei den Luftangriffen teils schwer beschädigt.
Mangel an Ärzten
Im gesamten Gazastreifen gebe es einen Mangel an Ärzten, der dadurch verschärft werde, dass die Mediziner sich durch die politische Lage nicht ausreichend fortbilden könnten, sagt Jihad Elhissi, Assistenzprofessor für Gesundheitswesen an der Al-Azhar-Universität Gaza und medizinischer Berater der örtlichen Caritas-Klinik in Gaza.
An Spezialisten fehle es in den meisten Bereichen. Bei der Ausrüstung komme es zu Engpässen, und mehr als 50 Prozent grundlegender Medikamente seien nicht erhältlich. "Das System ist nicht am Rande des Kollapses, es ist bereits kollabiert", sagt Elhissi.
Kleine Entlastung durch Caritas und andere Helfer
Die Liste der zusätzlichen Erschwernisse ist laut dem Caritasberater lang: Mehr als 50 Prozent der Gazabewohner leben unter der Armutsgrenze, 60 Prozent sind arbeitslos und 85 Prozent von internationaler Nahrungsmittelhilfe abhängig. Die Hälfte aller Kinder und drei Viertel der Frauen leiden unter Nährstoffmangel. Umweltverschmutzung führt zu weiteren Krankheiten und Problemen.
"Schon vor Corona waren wir überlastet", so Elhissi. Würden Helfer wie die Caritas das System durch medizinische Grundversorgung und Aufklärung nicht entlasten, sähe es noch dramatischer aus.
Gegenwärtig sei die Zahl der Neuinfektionen mit rund 30 Prozent aller Getesteten stabil, sagt Awad. Aber die Nachwirkungen des Kriegs und eine Lockerung der Schutzmaßnahmen lässt den Arzt vor einer dritten Infektionswelle warnen. "Unser Kampf gegen das Virus ist nicht vorüber. Selbst wenn wir nur zehn Fälle hätten, würden sich 100 weitere infizieren, die wiederum 1.000 weitere infizieren..." Impfstoff ist bislang rar in Gaza, und auch wenn es mehr Dosen gäbe: "Die Menschen haben Angst vor der Impfung."
Ausbreitung des Virus verhindern
Der Zustand des Patienten in Awads Notaufnahme hat sich unterdessen verschlechtert. Auf 70 Prozent sank die Sauerstoffsättigung im Blut. Als er vom Roten Halbmond eingeliefert wurde, lag sie bei 85 Prozent. Sein Zustand sei "moderat bis ernst, ich hoffe, er wird sich durch die Beatmung verbessern", sagt der Arzt, dessen Schutzkleidung aus einer einfachen OP-Maske, Einweghandschuhen und einem blauen Einwegkittel besteht. Eine andere Einheit des Krankenhauses kümmert sich derweil um die Quarantäne der Angehörigen des Neuinfizierten. Awad: "Wir müssen alles tun, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern!"