DOMRADIO.DE: Heute beginnt das Neusser Schützenfest, mit allem was dazugehört: Kirmes, Fackelzug, Königsparade, Feuerwerk und Königs-Vogelschießen. Wieviele Schützen werden insgesamt dabei sein?
Thomas Nickel (Ehrenpräsident des Bürger-Schützen-Vereins in Neuss und ehemaliger Vorsitzender des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Köln): 7.719 Schützen und Musiker sind dabei. Das Schöne ist, dass erneut 93 Schützen mehr mitmachen als im vergangenen Jahr. Das ist ein gutes Zeichen. Es sind junge Leute, aber auch gestandene Männer, die in diesem Jahr erstmals über den Markt gehen werden.
DOMRADIO.DE: Viele unterschiedliche Schützenbruderschaften und Schützenvereine sind vertreten. Wie sind Schützen organisiert?
Nickel: Wir haben verschiedene Corps: Von den Grenadieren über den Jägercorps, die Schützenlust und auch zwei Bruderschaften haben sich angeschlossen: die Hubertusschützen und die Scheibenschützen. Alles unter dem Dach des Neusser Bürger-Schützen-Vereins von 1823.
DOMRADIO.DE: Die Schützen haben eine enge Verbindung zur Kirche, oder?
Nickel: Ja – Kirmes selbst ist schon ein christliches Fest. Neuss ist durch Katholiken geprägt worden, in der früheren Zeit. Ganz sicherlich hat man bei der Gründung unseres Vereins 1823 deutlich gewusst, dass wir ein christliches Fest sind – ein katholisches Fest, haben damals noch die Verantwortlichen gesagt. Da war es ohne Probleme möglich, in die Satzung aufzunehmen: "Das Fest beginnt mit dem Hochamt in Sankt Quirin". Das steht in unserer Satzung drin und wird bis heute so gelebt. Alle respektieren das.
Wir sind auch ökumenisch. Wir feiern morgens, kurz vor dem Festhochamt, ein ökumenisches Morgenlob. Das wird von den Schützen auch gut angenommen. Es ist ein Fest, das die Stadt verbindet. Heute auch über alle Religionen hinweg.
DOMRADIO.DE: Wer bei der Schützenbruderschaft mitmachen will, muss aktives Kirchenmitglied sein. Ist das auch heute noch so?
Nickel: Das ist heute nicht mehr ganz so. Der Schütze muss durch ein christliches Weltbild geprägt sein. Die Verantwortlichen in diesen Corps, die sollten dann schon katholisch sein.
DOMRADIO.DE: Die Schützenvereine tragen oft Namen von Heiligen. Zum Beispiel St. Sebastianus oder St. Hubertus – die beiden sind sehr beliebt. Woher kommt das?
Nickel: Das ist Tradition. Die Corps haben sich gegründet und dann zum Beispiel St. Hubertus als ihren Patron genommen. Unser Grenadier-Corps hat seit vielen Jahren einen Patronatstag und hat die Mutter Maria in den Mittelpunkt gestellt. So ist das bei den einzelnen Corps ganz unterschiedlich. Das sind Traditionen, die aber bis heute hochgehalten werden und die auch von den Mitgliedern dieser einzelnen Corps durchaus akzeptiert werden.
DOMRADIO.DE: Wie kommt es denn, dass in Neuss die Tradition der Schützen so besonders gut erhalten ist? So ein riesiges Schützenfest gibt es in Deutschland nur in Neuss.
Nickel: Wir sagen sogar: über Deutschland weit hinaus. Woran das liegt? Die Schützen verbinden die gesamte Stadt miteinander: Egal ob arm oder reich, dick oder dünn, wie man so nett sagt. Oder anders gesagt: Ob Unternehmer oder Pförtner – über das Schützenfest sind alle Schützen gleich. Man redet dort mit seinem Chef bei einem Glas Bier. Genauso hat man nach dem Schützenfest wieder Respekt vor ihm. Es ist etwas Verbindendes. Man würde vielleicht heute moderner sagen: Es ist ein großes Netzwerk und das verbindet unsere Stadtgesellschaft miteinander.
Es kommen so viele Schützen an den nächsten Tage – oder sie sind schon da. Die, die woanders arbeiten, studieren oder mit ihren Familien leben, kommen zum Schützenfest wieder zurück. Das verbindet. Wenn Sie mich fragen, woran das liegt: Gerade daran, dass es so außergewöhnlich ist, dass Männer aller Bildungsstände mit Holzgewehren durch die Stadt gehen. Das ist Anachronismus pur. Das zieht aber an. Junge Züge bilden sich schon in der Oberstufe. Sie bilden sich dort und versprechen sich: Jedes Jahr treffen wir uns nach dem Abitur, nach dem Studium, auf dem Schützenfest wieder.
DOMRADIO.DE: Da ist es praktisch, dass das Wochenende festgelegt ist. Das kann man sich frühzeitig freihalten. Morgen Abend gibt es dann einen Fackelzug – und der ist erstmals multikulturell. Das ist ein Fackelzug mit großen Laternen?
Nickel: Ja, das sind Fackeln, die handgemacht werden. Aber anders als man es im Kölner Karneval kennt, werden die gezogen oder geschoben. Diese großen Fackeln sind auf Gestelle montiert, mit modernen Leuchtkraftmitteln hinterlegt, sodass man Motive sehen kann. Jede Fackel hat in der Regel ein ganz anderes Motiv und stellt etwas dar, was in der Stadt passiert ist. Oder etwas, das in der Bundesrepublik passiert ist. Es ist dabei nicht so stark politisch pointiert wie beim Karneval. Da tragen diese Wagen ja politische Motive.
Hier sind es Motive, die aus der Stadtgeschichte herauskommen. Sie greifen aber durchaus auch das Thema Respekt vor den Rettungsdiensten oder vor der Polizei auf. Auf einer Fackel wird jemand, der bei einem Unfall fotografiert, als Idiot bezeichnet. Es werden also auch überregionale Themen behandelt, aber überwiegend Stadtthemen.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist das Ganze zum ersten Mal multikulturell, um ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Rassismus zu setzen?
Nickel: Ich würde es anders sagen: Wir sind immer multikulturell. Wir haben so viele Nationen, die bei unserem Zug mitmachen. Ein Zug, der sich aus Freunden gegründet hat, der hat auf einmal festgestellt: Bei uns haben wir neun verschiedene Nationen. Die haben sich nicht unbedingt gesucht, aber gefunden. Sie haben dann auch gesehen, dass sie unterschiedliche Religionen haben und haben sich gesagt: Dann machen wir eine Fackel, die genau dieses Thema hat: Dieses Multikulturelle, dieses Miteinander, diese Rücksichtnahme und das Trotzdem-Miteinander-Feiern-Können.
DOMRADIO.DE: Sonntag findet dann die Parade zu Ehren des Schützenkönigs statt. Der neue Schützenkönig steht dann erst am Dienstag fest. Zwischendurch geht es dann auf die Rollmops-Allee. Was ist damit gemeint?
Nickel: Die Rollmops-Allee und die Fahrgeschäfte werden sogar schon heute um 17 Uhr eröffnet. Die Rollmops-Allee ist die Straße, auf der man essen und trinken kann – und das auf etwa fast 900 Metern. Sie heißt Rollmops-Allee, weil dort viel Rollmops angeboten wurde. Heute natürlich neben Currywurst und anderen Dingen.
DOMRADIO.DE: Sicherlich wird auch das ein oder andere Bier fließen...
Nickel: Auf jeden Fall. Das gehört auch dazu. Aber die Schützen wissen auch, wo ihre Grenzen sind. Wir haben selten direkte Ausfälle, wie man so sagt. Wir haben auch kaum Polizeieinsätze. Als Schützen wissen wir, dass das Bild nach außen wichtig ist. Wenn einer mal zu viel trinkt, dann helfen wir Schützen auch immer dabei, das dann wieder zu sortieren.
Das Interview führte Dagmar Peters.