Das ITB-Kirchenforum thematisiert Reisen als Sinnsuche

"Tendenz steigend"

Die Reisebranche boomt. Die weltweiten Ausgaben für Touristik sollen in diesem Jahr 4,5 Billionen Euro übersteigen und bis 2027 zehn Billionen Euro erreichen. Erholung, Fernweh, Freizeit, Vergnügen, Ablenkung... Doch die Internationale Tourismusbörse (ITB) macht in Berlin deutlich, wie sehr auch der Trend vom "Reisen mit Sinn" boomt: Längst sind Religion und Glaube Motive des Reisens und kommen nicht mehr verschämt daher.

 (DR)

"Tendenz steigend", bestätigt Petra Ganz, die seit 15 Jahren im Bayrischen Pilgerbüro in München arbeitet. "Für den Sommer sind wir ausgebucht." Schon arbeite man an Zusatzterminen. "Die Menschen wollen es, wir setzen es ihnen nicht auf", bestätigt Christian Antz, Referatsleiter im Wirtschaftsministerium in Magdeburg. Er erschließt touristisch archäologische Ziele in Sachsen-Anhalt und verweist auf den Reiseführer eines marktführenden Verlages über Klosterreisen. "Solche Bücher waren früher nur in Kleinstauflagen spezieller Verlage zu finden."

Pilgerreisen, Wallfahrten, Urlaub im Kloster: Im Bewusstsein der Deutschen hat solcherart Urlaub längst einen festen Platz. Darin waren sich die Beteiligten beim diesjährigen ITB-Kirchenforum, dem 30. Treffen dieser Art, am Samstag einig. "Spiritualität ist ein Ausdruck der Offenheit für das Geheimnis, das über und hinter meinem Leben steht. Das ist heute aber keine einheitlich definierte Erfahrung mehr", erklärt Michael N. Ebertz, Freiburger Religionssoziologe. So sei die Symbolfigur der Gegenwart nicht länger der religiöse, sondern der suchende Mensch - und Tourismus ein konkreter Ausdruck dieser permanenten Suche.

Doch wie sollen, wie können Reiseveranstalter, Kommunen und Kirchen mit diesem Phänomen umgehen? Vor allem gelte es, die damit verbundenen Chancen zu nutzen, sagt Hanjo Sauer, katholischer Theologe an den Universitäten Bamberg und Linz. Er war gelegentlich als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen tätig.
Gespräche mit den meist über 50-jährigen Passagieren erlebte er als beispiellos offen und intensiv. "Was mache ich noch mit meinem Leben?", so ein häufiges Thema der Reisenden. "Es kann nicht sein, dass man nur für drei Wochen im Jahr lebt. Das Erfahrene muss etwas einbringen für den Alltag."

Ebertz sieht genau hier großes Potenzial für die Botschaft der Kirchen und rät: Kirche müsse hier viel mehr investieren und Geld und Personal eventuell umschichten. Jedenfalls sei Kirche "in Situationen, wo Lebens- und Sinnfragen aufbrechen, viel zu wenig präsent". Die Zahl der Seelsorger an touristischen Schwerpunkten sei geradezu lachhaft.

Dabei wünscht sich Lutz Hertel vom Deutscher Wellnessverband Düsseldorf auch eine Betreuung von Veranstaltern. Hoteliers hätten sogar recht oft Probleme mit psychisch auffälligen Gästen und würden darunter leiden, ohne Ansprechpartner zu haben - ebenfalls eine Möglichkeit der Kirchen, sich einzubringen.

Klaus Peter Weinhold leitet als evangelischer Pfarrer die deutschsprachige Gemeinde auf den Balearen, betreut Touristen und Eingewanderte. "Die Vorstellung, unter Palmen und Sonne Mallorcas sei alles einfacher, ist schlicht falsch", weiß der Seelsorger. Oft werde aus dem selbstgewählten Paradies ein Gefängnis. Das erlebe er häufig bei Senioren, die vielleicht ohne finanzielle Probleme, jedoch oft mit Einsamkeit und sozialer Isolation zu kämpfen haben, zum Beispiel, wenn der Partner stirbt.

Kirche müsse sich noch mehr auf sich selbst und ihre Traditionen besinnen, so der Konsens im Podium. Mit ihren Jahrhunderte alten Erfahrungen gerade bei Reisen dürfe sich Kirche jedenfalls nicht unter den Anbietern von spirituellen Reisen verstecken. Auch wenn die Konkurrenz mittlerweile groß ist.