DOMRADIO.DE: Wenn sie persönlich zurückdenken, was Sie alles erlebt haben mit dem Papst im Jahr 2018, gibt es eine Geschichte, die Ihnen da besonders in Erinnerung bleiben wird?
Jürgen Erbacher (Leiter der ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch"): Wenn man mit dem Papst auf Reisen ist, gibt es natürlich ganz viele Geschichten. Da erlebt man zum einen viel Jubel, wenn er mit dem Papamobil durch die Straßen fährt. Für mich sind immer die besonderen Momente, wenn der Papst Einrichtungen, wie Gefängnisse besucht oder ein Kinderheim. Diese Begegnungen sind dann schon immer sehr emotional. Eine kleine Geschichte ist die, die hier in Rom in einer kleinen Gemeinde passiert ist.
Da gab es eine Fragerunde zwischen Kindern und Jugendlichen und dem Papst. Ein kleiner Junge, Emanuele ist sein Name, brach in Tränen aus und konnte einfach nicht reden. Der Papst hat gesagt, er solle zu ihm kommen. Daraufhin hat Franziskus ihn ins Ohr geflüstert und gefragt, was denn los sei. Laut und in die Runde hat Papst Franziskus gesagt, er habe Emanuele gefragt, ob er es erzählen darf, denn der Vater sei vor wenigen Wochen gestorben. Er war Atheist, also nicht getauft, hat aber seine vier Kinder taufen lassen.
Emanuele wollte wissen, ob denn sein Vater jetzt im Himmel sei. Der Papst konnte in der Situation dann Seelsorger sein, was er immer gerne ist. Er hat die Kinder gefragt, die dort versammelt waren: "Glaubt ihr, dass Gott diesen Mann fern lässt von ihm? Ein Mann, der zwar Atheist war, aber seine vier Jungs hat taufen lassen und zu so prächtigen Jungs erzogen hat." Die Kinder haben ihm alle mit einem "Nein" geantwortet.
Da hatte Emanuele seine Antwort durch den Papst bekommen. Das sind so Momente, in denen ich Franziskus sehr stark finde.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist in den Medien groß gefeiert worden, besonders für seine Reformversuche. 2018 hat er aber auch Kritik erlebt. Denken wir zum Beispiel an den Umgang mit dem Missbrauchsskandal, vor allem in Chile. Da hat er von falschen Beschuldigungen gesprochen. Weiterhin gibt es den Brief des ehemaligen amerikanischen Nuntius Vigano, der auch Vorwürfe gegen den Papst erhoben hat. Was ist Ihr Eindruck? Wie steht Franziskus da zum Ende 2018?
Erbacher: Man kann zweifellos sagen, dass 2018 ein herausforderndes Jahr war. Allerdings gab es auch heftigen Gegenwind, wenn man sich an diesen synodalen Prozess zu Ehe und Familie zurück erinnert. Bei diesem Gesprächsprozess ging es um die Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Da gab es heftigen Gegenwind gegen den Papst. Das kennt man durchaus auch schon aus früheren Phasen des Pontifikats.
In diesem Jahr ging es natürlich um das Thema Missbrauch, das in vielen Ländern noch einmal ganz massiv aufgekommen ist: in Chile, in den USA, in Deutschland. Da ist in diesem Jahr immer so ein bisschen die Frage gewesen, wo steht Papst Franziskus wirklich. Er hat zwar immer gesagt, er habe keine Toleranz gegenüber den Tätern. Er musste aber dann an der einen oder anderen Stelle auch zugeben, dass er selbst vielleicht nicht ganz konsequent gehandelt hat.
Ich habe aber schon den Eindruck und das konnte man bei der Weihnachtsansprache an die Kurie in Rom erleben. Er habe gelernt, dass für ihn ganz klar ist, dass hier die Null-Toleranz gelten muss. Er muss auch klare Zeichen setzen und das will er wohl auch bei dem im Februar anstehenden Missbrauchsgipfel tun. Dazu hat er ja auch alle Vorsitzenden der Bischofskonferenzen weltweit eingeladen.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie dieser Gegenwind der ihm im Moment im Vatikan entgegenkommt, wird sich das auf die Reformbemühungen auswirken? Es wurden ja zwei enge Berater aus dem Gremium K9 entfernt. Da gibt es tatsächlich Stolpersteine auf dem Weg, oder?
Erbacher: Ja, es gibt Stolpersteine. Ich glaube, als Papst Franziskus 2013 gewählt wurde, dachte er schon, dass die eine oder andere Veränderung, die er anpacken möchte, schneller geht und er da zügiger vorankommen wird. Er musste dann im Laufe der Jahre lernen, dass es an vielen Stellen nicht ganz so einfach ist, Strukturen zu verändern und vielleicht auch Personen zu verändern. Ich habe aber schon den Eindruck, dass er sich von der grundsätzlichen Richtung her nicht verändern wird. Vielleicht ist er ein bisschen gebremst, aber sein Ziel ist schon ganz klar. Er hat in den letzten Wochen immer wieder gesagt, auch die Kurienreform wird vorangehen. Betont hat er immer wieder, dass in vielen Bereichen doch auch schon einiges gelungen ist. Ich glaube, vieles geht langsamer, aber er lässt sich durch diesen Gegenwind nicht beirren.
DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt noch mal nach vorne blicken auf das Jahr 2019. Was erwarten Sie? Es gibt ja auch immer wieder Spekulanten, die davon sprechen, dass der Papst mit der Idee eines Rücktritts spielen mag.
Erbacher: Ich habe nicht den Eindruck, dass dieser Papst amtsmüde ist. Das zeigt auch das Jahr 2019, denn in den letzten Wochen wurden viele Reisepläne bekannt.
Im Januar ist der Weltjugendtag in Panama, eine Woche später fährt der Papst nach Abu Dhabi zu einer interreligiösen Konferenz, Ende März nach Marokko. Im Mai fährt er nach Bulgarien und Mazedonien, dann sind noch große Reisen im September und November unter Umständen nach Japan geplant. Das sieht nicht danach aus, als würde er in absehbarer Zeit zurücktreten. Dann habe ich ja bereits erwähnt, das Thema Missbrauch wird natürlich auch 2019 ein wichtiges Thema mit dem Gipfel im Februar sein. Aber es ist glaube ich allen klar, dieser Gipfel ist dann nicht irgendwie ein Zielpunkt, sondern er kann vielleicht ein Ausgangspunkt sein, um dieses Thema weltweit in allen Bischofskonferenzen auf die Agenda zu heben.
Das Stichwort Kurienreform ist angeklungen, da rechnet man damit, dass sie im Frühjahr zu einem Zielpunkt kommt. Da stehen viele Dinge an und es wird ein spannendes Jahr. Ich habe die Amazonas-Synode im Oktober vergessen, wo ja auch spekuliert wird, ob man über die sogenannten Viri probati, die bewährten verheirateten Männer, die man zu Priestern weiht. Auch da bahnt sich schon wieder eine sehr kontroverse Diskussion an. Das wird dann vielleicht ab dem Frühsommer bis in den Herbst hinein die Diskussionen bestimmen. Also 2019 wird ein volles Jahr für diesen Papst. Ich glaube auch ein für uns Journalisten wird es ein interessantes Jahr, weil viel Kontroverse drinsteckt.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.