Nett ist sie, die ältere Dame, zwei Häuser weiter. Eins aber – das ist übers Jahr deutlich zu erleben – kann sie gar nicht leiden, das ist das Moos im Rasen ihres Vorgartens. Permanent streut sie von Frühjahr bis Herbst Moosentferner, tatsächlich auch immer wieder mit vorübergehendem Erfolg, und so bleibt sie hartnäckig im Kampf gegen das Moos. Nur jetzt zur Weihnachtszeit schwenkt sie um, da geht sie in den nahen Wald und sammelt Moos für ihre Krippe.
Erste Landpflanzen
Moose sind die ältesten der heute existierenden Landpflanzen. Vor über 400 Millionen Jahren bildeten sie sich aus den Algen der Meere. Damals gab es das erste Leben fast nur in den Ozeanen, die Moose aber trauten sich sozusagen an Land. Vermutlich sahen die ersten Moose dem Lebermoos ähnlich mit seinen eher großen, algenförmigen Blättern.
Dass es heute noch immer die Moose gibt und dies in vielfältigsten Formen, beweist ihre Anpassungsfähigkeit an nahezu alle Widrigkeiten auf unserem Erdball wie Kälte, Dunkelheit, Nässe und Hitze. Wir bewundern, wie sie noch in tiefe Schluchten Farbe hineinbringen, wie sie den stürzenden Wassern der Gebirgsbäche trotzen, wie sie im kargen Norden Europas die letzten lebensfähigen Pflanzen überhaupt sind. Moose sind Überlebenskünstler und vor allem eine biologische Besonderheit. Sie bilden keine Wurzeln, keine Blüten, statt Samen bilden sie Sporen, halten sich nur mit Fäden am Untergrund fest. Das nötige Wasser entnehmen sie der Luft, und zur Befruchtung der Eizellen sind sie auf Wassertropfen angewiesen.
Vielfältig und nützlich
Rund 16.000 Moos-Arten gibt es, davon rund 100 nur in Mitteleuropa: Das Torfmoos schuf über Jahrtausende die Moore, ist heute aber vom Aussterben bedroht; das Silber-Birnmoos wächst gern in den Fugen der Gehwege; das Kurzbüchsen-Moos liebt kurzgeschnittenen und gut gedüngten Rasen; das Brunnenmoos lebt unter Wasser; das Weissmoos mag den hellen Fichtenwald. Und weil dies Weissmoos so hübsche Kissen bildet, ist es im Blumenladen erhältlich und zu Weihnachten beliebt in den Krippen.
Nützlich fanden die Menschen Moose schon immer, auch wenn oft Aberglaube dahinter steckte. Matratzen und sogar Windeln wurden damit ausgestopft, Häuser abgedichtet, im Mittelalter wurde Moos als Toilettenpapier genutzt und in Kriegen für Wundkompressen. Durchaus berechtigt, denn Moose haben eine antiseptische Wirkung. Und heutzutage filtern sie den Umweltschmutz der Zivilgesellschaft.
Mythos Moos
Über die gesamte Geschichte hin haben sie den Menschen begleitet und haben sich auch tief in seine Mythen, Märchen, Fabeln eingegraben. Die Schriftstellerin Christine Wunnicke hat den Moosen im Buch „Die Kunst der Bestimmung“ ein Denkmal gesetzt, ein Forscher glaubt in diesem lesenswerten Roman, im Lappländischen Moos den Ursprung allen Lebens gefunden zu haben. Er stellt dies Moos ins Zentrum seiner Vorstellung von der Lebensspirale, in der eins aus dem anderen hervorginge:
„Eine Erleuchtung kam über Dr. Chrysander, so unerwartet und gleißend, dass sie ihm für einen Augenblick den Atem benahm. (...) Das lappländische Moos war der Beginn des Lebens, bedürfnislos und stabil. Aus ihm war hervorgegangen, was man heute sah, die Pflanzen, die Tiere, der Mensch.“
Der Irrweg eines Forschers, der die Welt perfekt ordnen wollte, voller Ehrfurcht gegenüber dem schlichten Moos. Ein bisschen von dieser Ehrfurcht steckt in jedem von uns, gerade jetzt, wenn wir es für die Krippe sammeln und nicht als Unkraut vernichten. (St.Q.)
Das Zitat entstammt dem Buch: "Die Kunst der Bestimmung" von Christine Wunnicke, Kindler Verlag, 2003 (gebraucht erhältlich)