Nach Finanz- und Wirtschaftskrise, nach den Unsicherheiten durch die Globalisierung fordert die Kirche jetzt angesichts des neuen Wirtschaftsaufschwungs die Wiederentdeckung der Freiheit als sozialpolitisches Prinzip. Die Freiheit werde nicht genügend geschätzt, schreiben die Bischöfe. Freiheit sei "ein zentraler Begriff des christlichen Glaubens", der "moralisch "durchbuchstabiert"" werden müsse.
Das neue Kommissionspapier steht in einer Reihe von insgesamt drei Wortmeldungen der Oberhirten der zurückliegenden 15 Jahre zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland. 1997 hatte das gemeinsame Wort der evangelischen und katholischen Kirche für Aufsehen gesorgt, weil es in teilweise deutlicher Form Risse im sozialen Netz der Gesellschaft ausgemacht hatte. Das Papier ist vielfach auch als Kritik an der Bundesregierung von Helmut Kohl (CDU) gelesen worden. Manche Kommentatoren sahen sogar durch die kirchliche Intervention die Abwahl des Kanzlers 1998 begünstigt.
Sechs Jahre später überraschte die Kirche mit einem bischöflichen Kommissionspapier, das einen anderen Ton anschlug. Das Papier "Das Soziale neu denken" von 2003 hob die Reformbedürftigkeit des Sozialstaats hervor. Kritiker meinten, das Papier passe eher zur FDP als zur katholischen Kirche. Die Bischöfe forderten damals, eine Überprüfung "überholter Sozialstaatsvorstellungen" und institutionelle Veränderung im System. Manche sahen darin eine gewisse Schützenhilfe für die von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verkündete "Agenda 2010" zur Reform der sozialen Sicherungsinstrumente.
Ursprünglich ökumenisch
Das nun vorgelegte Papier war ursprünglich auch als ökumenisches Projekt angelegt worden. Doch als Ergebnis liegt nun ein Papier der bischöflichen Kommission vor, das der Münchner Kardinal Reinhard Marx vorsteht. Der frühere Professor für Christliche Gesellschaftslehre präsentiert damit den Versuch einer Art Synthese der beiden sozialpolitischen Ansätze. Die Werte "Freiheit" und "Gerechtigkeit" dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, heißt es in dem Papier, an dem eine Reihe von Fachleuten mitgearbeitet hat.
Insgesamt gebe es eine "freiheitliche Fortschrittsgeschichte". Zugleich nehme "Ungleichheit zu, die von Vielen als Ungerechtigkeit empfunden" werde. Marx schreibt als eine Quintessenz der sozialpolitischen Überlegungen der Kirche: "Es bedarf also eines konstruktiven Umgangs mit der Kehrseite dieser Freiheitserrungenschaften". Das Papier listet dazu auch eine Reihe konkreter sozialpolitischer Forderungen auf.
Die "Chancengerechte Gesellschaft", die die Bischöfe nun vorschlagen, will die "Idee der Freiheit" als "historischen Erfolg der westlich-abendländischen Moderne" wiederbeleben und gleichzeitig den Sozialstaat keineswegs abschaffen. Freiheit werde nicht mehr in dem Maße geschätzt, wie sie es verdient habe, schreiben die Autoren des Thesenpapiers. "Recht verstandene Freiheit ist aber grundlegend für eine gerechte Gestaltung des Gemeinwesens."
Das neue Sozialwort der Bischöfe gibt der Politik Empfehlungen
Die Freiheit als sozialpolitisches Prinzip
Mit ihrem neuen Sozialwort "Chancengerechte Gesellschaft" meldet sich die katholischen Bischöfe in Deutschland nach gut einem Jahr der internen Probleme auf der politischen Bühne zurück. Das als "Leitbild für eine freiheitliche Ordnung" bezeichnete Papier setzt einen überraschenden Akzent.
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