DOMRADIO.DE: Sie kennen beide Gutachten, das Münchener Gutachten, das nicht veröffentlicht worden ist, und das neue Gercke-Gutachten. Der Betroffenenbeirat, dem sie angehören, schreibt in einer Stellungnahme, dass er froh sei über das neue Gercke-Gutachten, das sie nicht enttäuscht habe. Warum sind Sie froh?
Peter Bringmann-Henselder (Mitglied des Betroffenenbeirates im Erzbistum Köln): Aus dem ganz einfachen Grund: Wenn man das WSW-Gutachten mit dem Gutachten von Herrn Gercke vergleicht, stellt man fest, dass 15 exemplarisch ausgewählte Fälle behandelt wurden, von denen niemand weiß, warum sie ausgerechnet in dem WSW-Gutachten exemplarisch sein sollen. Insgesamt wurden offenbar auch nicht alle Fälle des Untersuchungszeitraums behandelt.
Im Gercke-Gutachten haben wir 24 Fälle, die ausführlich behandelt wurden. Darüber hinaus 211 weitere Fälle in einer Kurzfassung. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Und allein der Umfang der beiden Gutachten spricht eigentlich für sich.
DOMRADIO.DE: Das heißt, das ist auch der Vorteil des neuen Gercke-Gutachtens?
Bringmann-Henselder: Das Gercke-Gutachten hat sich ja erst einmal darauf ausgerichtet, dass es Rechtssicherheit beinhaltet. Das bedeutet für uns, das WSW-Gutachten wäre noch nicht einmal zur Veröffentlichung gekommen, da wäre dieses Gutachten sofort in den Aktenschrank verschwunden.
Das Gercke-Gutachten hat sich darauf konzentriert, dass es rechtssicher ist und dass Namen genannt werden konnten, was es auch gemacht hat.
DOMRADIO.DE: In Ihrer Stellungnahme schreiben Sie auch: "Die Arbeit fängt nach Veröffentlichung des Gercke-Gutachtens jetzt erst an." Was muss denn als nächstes passieren?
Bringmann-Henselder: Das sind ein paar Punkte, die wir ganz klar fordern und die auch umgesetzt werden sollen. Das ist die Opfernachbetreuung. Aus den Unterlagen geht ganz klar hervor, dass man die Opfer gar nicht berücksichtigt hat. Wir fordern, dass der Betroffene, so wie er sich in der Interventionsstelle meldet, eine Begleitung über das Erzbistum von Anfang an bis zum Schluss erhält.
Diese Begleitung muss auch von unabhängigen Fachleuten durchgeführt werden. Es sollten also nicht auf einmal Juristen aus dem Erzbistum mit dem Betroffenen arbeiten, damit er seine Forderungen stellen kann. Vielmehr sollte es wirklich von unabhängigen Leuten, die mit dem Bistum gar nichts zu tun haben, angegangen werden und das Bistum sollte diese Maßnahmen finanzieren.
DOMRADIO.DE: Ihnen ist wichtig, dass es unabhängig bleibt. Jetzt liegt das weitere Vorgehen in der Hand der katholischen Kirche. Wie kann denn gewährleistet sein, dass diese Unabhängigkeit herrscht und keine Einflussnahme von kirchlichen Interessen?
Bringmann-Henselder: Der Kardinal und der Generalvikar wollen diese Möglichkeiten jetzt schaffen. Da arbeiten sie auch schon dran. Diese Maßnahmen der Opfernachbetreuung, dass das Opfer klar auch im Mittelpunkt steht und nicht der Täter, müssen geschaffen werden.
Auch an der Ombudsstelle, die es allerdings nur mit dem Zusatz dieser juristischen Begleitung gibt, soweit ich weiß, werden sie auch weiterhin arbeiten und wir werden auch diese Sache weiter begleiten.
DOMRADIO.DE: Bislang wurde Missbrauch in der katholischen Kirche nur deswegen geahndet, weil der Priester damit ja gegen seinen Zölibats- und Keuschheitsversprechen verstoßen hat. Was muss sich da ändern, damit die Betroffenen in den Mittelpunkt rücken?
Bringmann-Henselder: Dazu haben wir am 25. März auch mit dem Kardinal gesprochen. Wir haben ganz klipp und klar gesagt, dass sich das Kirchenrecht endlich an das Strafrecht angleichen sollte. Das haben wir im Erzbistum Köln in unserer zweijährigen Amtszeit schon erlebt, wo diese Sachen direkt vom Kardinal aus weitergeleitet worden sind zur Staatsanwaltschaft. Das muss Pflicht werden.
DOMRADIO.DE: Und darüber hinaus schreiben Sie ja auch, dass es nicht mit "Reförmchen" jetzt getan ist, dass die Kirche immer noch im Elfenbeinturm sitzt und sich die Welt schönredet. Wie muss sich Kirche da vielleicht auch grundsätzlich ändern?
Bringmann-Henselder: Die Kirche muss sich an den Zeitgeist angleichen. Das heißt, sie darf nicht 2000 Jahre stehenbleiben, sondern sie muss auch mit der Zeit gehen und mit ihren Gläubigen. Für uns steht aber diese Änderungen der Sexualdelikte im Vordergrund.
Inwieweit die Kirche jetzt die Frauen mehr mit einbezieht oder auch bestimmte Randgruppen wie Homosexuelle, da sollten die in sich gehen und auch wirklich sagen: Wir müssen da ran. Da muss man jetzt anfangen daran zu arbeiten und das nicht wieder auf die lange Bank legen.
Das Interview führte Katharina Geiger.